Kommentar: Damenbesuch bei Gaddafi
Die EU schafft es nicht, außenpolitisch mit einer Stimme zu sprechen - auch nicht für die eingesperrten bulgarischen Krankenschwestern. Das nutzen die Sarkozys zur Selbstinszenierung.
D ie in Libyen seit acht Jahren eingesperrten bulgarischen Krankenschwestern und der palästinensische Arzt können darauf hoffen, nach Bulgarien ausgeliefert zu werden. Um das Schicksal dieser verzweifelten Menschen wird hoch gepokert. Gaddafi missbraucht sie, um von Versäumnissen im eigenen Gesundheitswesen abzulenken. Das wirtschaftlich schwache Bulgarien kann seine Staatsbürger nur retten, wenn die EU hilft, mit wirtschaftlichem und diplomatischem Einsatz.
Doch Europa hat das große Handikap, außenpolitisch nicht mit einer Stimme zu sprechen. Alle sechs Monate nimmt sich eine neue Ratspräsidentschaft des Falles an. Zusätzlich wuselt der außenpolitische Vertreter Javier Solana durch die Region. Und Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner scheint die Sorge, sie könne dabei vergessen werden, zu immer neuen fiebrigen Reiseaktivitäten zu treiben. Seit letzter Woche hat das seltsame Trio ehrenamtliche Verstärkung bekommen: Präsidentengattin Cécilia Sarkozy fühlte sich zu einer Reise nach Tripolis gedrängt - ganz privat, in ihrer Eigenschaft als Mutter.
Es scheint bei den Sarkozys in der Familie zu liegen, ungefragt EU-Diplomatie zu betreiben. Als beim letzten EU-Gipfel die Polen bockten, wusste der französische Präsident geschickt den Eindruck zu vermitteln, alle Fäden liefen bei ihm zusammen, nicht bei Ratspräsidentin Angela Merkel. Die nahm es gelassen. In Brüssel aber ist man von Cécilia Sarkozys Alleingang in Tripolis nicht begeistert. Deshalb hat ihr Ehemann nun lange mit Kommissionspräsident Barroso telefoniert, um die Aktivitäten seiner Gattin besser einzubinden.
Ferrero-Waldner schloss sich flugs dem Ausflug an, um ein wenig vom möglichen Glanz einer triumphalen Heimkehr der Inhaftierten abzubekommen. Das alles diene schließlich einem guten Zweck, erklärte Ferrero-Waldners Sprecherin gestern tadelnd auf die bohrenden Fragen der Journalisten, wer denn nun die europäische Außenpolitik vertrete. Doch es ist nicht die Presse, die den guten Zweck aus den Augen verloren hat, sondern Gaddafis Damenbesuch.
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