Kommentar: Erschreckende Unkenntnis
Migranten sind kränker als Deutsche, so viel verrät der neue Gesundheitsbericht. Warum das so ist, bleibt jedoch unklar, weil die Daten fehlen. Das Gute daran ist immerhin, dass jetzt der Druck auf die Politik steigt, etwas gegen diese Unkenntnis zu tun.
Eine dreimal höhere Sterblichkeitsrate bei Säuglingen, eine höhere Rate von Suchterkrankungen und anderen psychischen Leiden bei SeniorInnen, eine höhere Selbstmordrate, sogar ein erhöhtes Risiko, bei Verkehrsunfällen ums Leben zu kommen - der Bericht über die Gesundheitslage der MigrantInnen in Berlin bringt Erschreckendes zutage. Das Erschreckendste an ihm ist allerdings, dass er offenbart, was wir alles nicht wissen.
Dass eine prekäre soziale Lage schlecht für die Gesundheit ist, wissen wir. Ebenso, dass viele zugewanderte BerlinerInnen unter beidem leiden. Wie düster die Lage wirklich ist, darauf wirft der aktuelle Bericht ein grelles Schlaglicht. Wie wir sie ändern können, darüber sagt er uns leider jedoch herzlich wenig.
Es fehlt an elementaren Zahlen: 12 Prozent der Berliner Erwerbstätigen sind im Gesundheitswesen tätig. Keine Statistik erfasst jedoch, wie viele dieser Beschäftigten aus Zuwandererfamilien stammen. Untersuchungen in Kliniken lassen den Schluss zu, dass der Einsatz von muttersprachlichem Personal in Beratungs- oder Vorsorgeangeboten deren Akzeptanz bei MigrantInnen erhöht. Doch um den Nutzen und die Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen zu belegen, braucht man Zahlen.
Dass die fehlen, lässt vermuten, dass das Thema Gesundheit der Zuwanderer lange nicht ernst genug genommen wurde. Einen Hinweis darauf liefert die Tatsache, dass ältere Migranten zwar häufiger krank sind als deutsche Senioren, aber seltener als Schwerbehinderte anerkannt werden als die. Fehlt es ihnen an Informationen über diese Möglichkeit? Oder entscheiden die zuständigen Stellen etwa häufiger zu ihren Ungunsten? Diese und andere Fakten belegen, wie stark unser Gesundheitssystem offenbar in mancher Hinsicht Migranten benachteiligt. So hat der Bericht auch etwas Gutes: Er macht Druck, dies zu ändern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!