Kommentar: Arm, aber unbestechlich
Lieber Schulen statt Autobahnen.
Der Bund will Berlin 420 Millionen Euro schenken. Für den Bau von drei Kilometern Autobahn von Neukölln nach Treptow. Ein großzügiges Geschenk, die teuerste Straße Deutschlands im ärmsten Bundesland. Darf das Arm-aber-sexy-Berlin ein solches Luxus-Geschenk ablehnen? Ja, es muss sogar. Zumindest wenn der Senat seine politischen und verkehrspolitischen Grundsätze ernst nimmt.
Klar braucht Berlin Geld. Für Schulen, für die Verwaltung, für Bibliotheken, Grünanlagen, Unis, Krankenhäuser. Und natürlich auch für die Banken, denen das Land noch 60 Milliarden Euro schuldet. All das wäre wichtiger als ein Stück Autobahn. Zumal das auch noch in nur 50 Meter Entfernung parallel zur S-Bahn-Trasse verläuft. Eine Koexistenz, die die Stadtentwicklungssenatorin zu der seltsamen Behauptung zwingt, dass die eine Bahn keine Konkurrenz für die andere bilden soll.
Aber für Autobahnen darf der Bund nun mal Geld ausgeben, während er für Straßenbahnen, Schulen oder Schulden nichts herausrücken darf. Das Bundesverfassungsgericht ließ die Stadt abblitzen, als sie vom Bund Entschuldungshilfe einklagte. Und die immerhin noch knapp 2 Milliarden Euro, die jährlich als Solidarpaktmittel in den städtischen Haushalt fließen, sind streng zweckgebunden. Der Finanzsenator darf sie nicht zur Bezahlung von Lehrern verschleudern, sondern muss sie investieren. In Straßen etwa.
Zu Recht fordert Berlin, den Investitionsbegriff zu erweitern und auch solche in Humankapital zuzulassen. Der Senat könnte ja mal probehalber, aber lautstark beim Bund anfragen, ob man die 420 Millionen Euro nicht für dringendere Projekte umwidmen könnte. Die Begründung wäre schlüssig. Die vor fünf Jahren verabschiedete Bundes-Verkehrswegeplanung ist längst überholt, die Zahl der Autofahrer schrumpft. Nicht an Straßen mangelt es heute, sondern an Fachkräften. Wahrscheinlich würde die Stadt damit scheitern. Dann würde die Prachtstraße eben nicht gebaut. Berlin bliebe zwar weiterhin arm, aber immerhin aufrecht.
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