■ Kommentar: Henker sind keine Opfer
Die DDR-Justiz hat demokratischen Maßstäben nicht genügt. Das gilt erst recht für die Zeit der sowjetischen Besatzung. Der Prozeß, der gegenwärtig im thüringischen Waldheim geführt wird, ist dennoch bemerkenswert. Die westdeutsche Justiz, die es nie geschafft hat, einen NS-Kollegen abzuurteilen, zieht dort ehemalige DDR-Richter zur Verantwortung. Während in der Bundesrepublik ein Blutrichter des Volksgerichtshofs letztinstanzlich für sich in Anspruch nehmen konnte, er habe sich an die NS-Gesetze als geltendes Recht halten können und sei für seine Terrorurteile deshalb nicht verantwortlich zu machen, gilt das in der DDR nicht. Ein Lernprozeß der Justiz, ein Fortschritt also? Nur zum Teil. Dort in Waldheim sind zwar in Schnellprozessen und unter Druck der sowjetischen Besatzer Hunderte von Menschen mit zweifelhaften Beweisen und ohne Verteidigungsmöglichkeiten verurteilt worden. Dennoch aber waren nicht alle nur Opfer, es waren auch Täter darunter – mörderische Nazi-Staatsanwälte beispielsweise. Das aber ist kein Thema. Fast könnte man meinen, die westdeutsche Justiz betreibt deswegen in Waldheim auch eine klammheimliche Rehabilitierung ihrer verbrecherischen Zunftkollegen.
Von der gleichen Zwiespältigkeit überschattet wird auch die Debatte um die künftige Konzeption der brandenburgischen Gedenkstätten. Weil die Konzentrationslager für die Herrscher des Gulag- Archipels eben nicht historisch einmalig waren und sich die weitere Nutzung verbot, litten und starben nach Kriegsende und Befreiung in Sachsenhausen und anderwo weiterhin Menschen: unschuldige Jugendliche ebenso wie politische Gefangene, die man kurz zuvor gerade aus demselben Konzentrationslager befreit hatte. Sie aber waren nicht allein: Unter den Unschuldigen gab es die Schuldigen, und es waren nicht wenige. Bei all dem Leiden der von den sowjetischen Behörden gequälten Menschen und dem Nachsinnen, wie dieser Häftlinge gedacht werden könne, darf gerade dies nicht vergessen werden – auch deswegen, weil es die unschuldigen Opfer der Sowjets entehren würde, trennte man nicht. Dies nicht zu tun, wäre erst recht eine Verunglimpfung für die ermordeten jüdischen Häftlinge. Eine Ehrung für die politischen Häftlinge der Nachkriegszeit hat diese schwierige Abgrenzung zu bewältigen. Nicht angehen aber kann, daß bei der Aufarbeitung deutscher Geschichte die Henker von damals nun als angebliche Opfer des Stalinismus dreist der Seite der Demokraten zugerechnet werden. Gerd Nowakowski
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