■ Kommentar: Kein Völlegefühl
Gewiß, Berlin hat seine Großdemonstration gegen Rassismus und Antisemitismus schon gesehen. Gewiß, nach München, Lindau und Hamburg ist eine Lichterkette durch die Stadt wahrlich keine brandneue Idee mehr. Und dennoch wäre es ein ganz neuartiges Zeichen, wenn die Deutschen respektive die BerlinerInnen just an ihrem hochheiligen Weihnachten unter der Tanne hervorkämen und ihr Kaninchen halbfertig gespickt in der Küche stehenlassen würden, um auf die Straße zu gehen. Um gemeinsam zu zeigen, daß sie unter den 15 Lagen gebrauchten Geschenkpapiers unter dem Christbaum den ursprünglichen Sinn von Weihnachten als Fest der Menschenliebe – ja, wir erinnern uns dunkel – noch nicht völlig vergraben haben. Um mit den Kindern einmal etwas anderes zu unternehmen, als sie vor das neue Computerspiel von Onkel Otfried zu setzen und „Ruhe“ zu schreien. Oder auch – und warum soll das kein respektables Motiv sein –, um den durch und durch ästhetischen Anblick von Tausenden von brennenden Kerzen und Lichtern zu genießen.
Wirklich, es wäre einmal eine ganz andere Art von Weihnachten. Schon am Morgen des 25. Dezember könnten die Kinder auf der Straße zählen, ob die Nachbarn auch die Kerzen herausgestellt haben und am Nachmittag tatsächlich mitmarschieren werden. Der erste Weihnachtsfeiertag als öffentlicher Feier- und Protesttag würde endlich Bewegung bringen in die ach so deutsche Kultur der Innerlichkeit und „Gemütlichkeit“, die bisher nur in trauten Kleinfamilieneinheiten und fest nach außen abgeschottet zu feiern weiß. Es würde den systematischen Ausschluß der Fremden und der Alleinstehenden aus dem „Fest der Liebe“, der Jahr um Jahr so viele Verzweifelte zur Selbsttötung treibt, wenigstens ansatzweise aufzuheben helfen. In einem Satz zusammengefaßt: Es wäre eine Aktion, die Spaß und Moral ausnahmsweise zu verbinden weiß. Ute Scheub
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