■ Kommentar: Auf ins Umland?
Es war zu erwarten. Kurz nachdem die Karlsruher Richter im Juli 1992 die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in die Spur brachten, brachen alle Dämme. Tausende von Anträgen liegen seither in den Bezirken zur Bearbeitung. Kein Wunder, bietet doch ein komplett umgewandeltes Mietshaus ein Vielfaches des Verkaufspreises auf dem ohnehin schon aufgeheizten Grundstücksmarkt. Zwar haben die Richter empfohlen, die bis Juli 1992 praktizierte Verknüpfung der Abgeschlossenheitsbescheinigungen an die heutigen Bauvorschriften ins Baugesetzbuch aufzunehmen, doch Bauministerin Schwaetzer will davon nichts wissen. Die Bundesregierung hält die Umwandlung in Eigentumswohnungen offenbar für die Lösung der Wohnungsnot. Freilich nicht für die BerlinerInnen, sondern für die künftigen Regierungsbeamten der neuen Hauptstadt. Die können sich nun in aller Ruhe eine Eigentumswohnung kaufen und nach getanem Umzug ins gemachte Nest setzen.
Doch auch der Senat scheint es mit den Mieterinteressen nicht ganz ernst zu meinen. „Wir haben keine Tricks mehr“, hatte Bausenator Nagel kurz nach der Verkündung des Urteils erklärt und gefordert, nun müsse die Bundesregierung handeln. Während freilich in München die Anträge auf Abgeschlossenheit so lange nicht bearbeitet wurden, bis die schriftliche Urteilsbegründung vorlag, wies der Senat in einem Akt vorauseilenden Gehorsams die Bezirksämter an, dem Karlsruher Richterspruch Rechnung zu tragen. Mehr noch: Wer die Anweisung gibt, die Anträge auf Abgeschlossenheit nicht mehr zu prüfen, macht deutlich, wo für ihn die Priorität liegt: in der schnellen Umgestaltung Berlins im Interesse der Investoren. Wenn der nunmehr offensichtlichen Umwandlungswelle nicht schnellstens ein Riegel vorgeschoben wird und wenn die Betroffenen den politisch Verantwortlichen nicht Beine machen, droht Berlin eine ähnliche Entwicklung wie Paris. Innerhalb der Peripherique sind bereits drei Viertel aller Wohnungen umgewandelt. Von den ehemaligen Bewohnern lebt dort kaum einer mehr. Uwe Rada
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