■ Kommentar: Wie in guter alter Zeit
Hartgesottene Zyniker hätten Mühe, sich jenes Trauerspiel um Schule und Demokratie auszudenken, das einige Ostberliner Schulpolitiker gerade aufführen. Da unterrichtet ein Geschichtslehrer aus dem Westen freiwillig ein Jahr lang an einer Ostschule und unternimmt den Versuch, offen über DDR-Nostalgie, falsche Treue zu alten Leitbildern und falsche Identität zu sprechen. Der Versuch scheint zu gelingen. Geliebt wird der gute Mann von den meisten seiner Schüler und von seinen Kollegen (Ost) für sein Engagement nicht. Das wäre auch zuviel verlangt. Aber an der Entscheidung, ob das Gymnasium künftig wieder – wie zu Zeiten der DDR – nach dem hingerichteten Nazi-Gegner Coppi oder nach dem Nazi-Gegner und DDR-Dissidenten Havemann heißen soll, nimmt die ganze Schule teil.
Aber was für Sonntagsreden allemal gut ist – demokratische Entscheidungsprozesse, offene Auseinandersetzung mit dem Ungeist der Diktatur –, im Alltag einer Ostberliner Schule wird die Praxis der hehren Prinzipien zum Ärgernis. Also muß der Mann weg. Und der zuständige Volksbildungsstadtrat scheut die perfidesten Methoden nicht: Erst sollen sich die Bezirksverordneten in die Auseinandersetzung einmischen. Sie wollen nicht. Dann ist ganz plötzlich die Luft aus dem Namensstreit, weil angeblich eine andere Ostberliner Schule sich den Namen Havemann schon gesichert hat. Zu guter Letzt entdeckt die Schulrätin noch, daß der Lehrer nichts taugt. Also ab nach Westen. Erinnerungen an DDR-Praxis stören offensichtlich nicht. Wer aus der Geschichte nichts lernt, ist verurteilt, sie zu wiederholen, hat ein weiser Mann gesagt. Die Sonntagsredner sollten dem Lehrer den Rücken stärken – und den Lichtenberger Schulpolitikern Nachhilfeunterricht erteilen. Hans Monath
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