Kommentar: Keine Freundschaft mit Diktatoren
■ Weltmusik ist "Volksmusik"
Es war Mitte der sechziger Jahre, als Deutsche und Nichtdeutsche aus dem Munde des katalanischen Sängers Raimón die Worte hören konnten: „No. Jo dic no. Diguem no. Nosaltres no som d'eixe mon.“ (Nein. Ich sage nein. Wir sagen nein. Wir gehören nicht dieser Welt an.)
Es war die Zeit der Franco-Diktatur in Spanien, Zeiten der Revolte und der (später zerschlagenen) Hoffnung in der Bundesrepublik. Raimón sang seine Lieder mit einer Stimme, die den Zuhörer ergriff und mitnahm. Er sang seine Lieder mit Worten, die von der Zensur erlaubt waren. Er sang von einem Land und von Menschen, die die Freiheit verloren hatten, zugleich aber auch darum kämpften, diese zu erlangen.
Das war „Weltmusik“, „Musica Mundi“, weil, ausgehend von der konkreten Wirklichkeit eines unterdrückten Landes und einer unterdrückten Sprache, Raimón mit den Mitteln der Musik vielen anderen Menschen eine Botschaft vermittelte. Über eine Wirklichkeit, die vielleicht über andere Medien, die einer viel strengeren Zensur unterworfen waren, wie zum Beispiel Bücher oder – zur damaligen Zeit undenkbar – freie Reden, kaum zu vermitteln gewesen wären. Raimón schuf mit seinen Worten und seinen Liedern ohne Zweifel mehr Bewußtsein in den Menschen einer Generation als Tausende von Handbüchern und politischen Traktaten, die zu jener Zeit natürlich auch verboten waren.
Auf der ganzen Welt hat es viele solcher Sängerinnen und Sänger wie Raimón gegeben, die von einer konkreten Wirklichkeit ausgingen. Sie haben uns zum Denken gebracht, indem wir ihrer Musik und ihren Worten lauschten: Lieder gegen die Rassentrennung in Soweto, über die Verfolgung der Roma in Rumänien oder der Kurden in verschiedenen Staaten. Es ist nicht leicht, Richtlinien zu erstellen über das, was musikalisch und inhaltlich zur „Musica Mundi“ gehört oder nicht. Die „Weltmusik“ ist „Volksmusik“, „Musik des Volkes“. Die Musik und die Lieder sind verwurzelt. Sie müssen zeigen, wie das Leben, die Wünsche und Forderungen der Völker aussehen.
Deswegen muß die „Weltmusik“ eine befreiende, emanzipatorische Musik sein. Sie kann keine Freundschaft mit den Diktaturen – welcher Couleur auch immer – verbinden, unabhängig davon, daß sie zum Tanzen dient, daß ihre Texte Forderungen beinhalten, von der Liebe oder der Natur handeln; kurzum: uns über das Medium Musik die Entdeckung der Lebensweise anderer Völker und anderer Menschen ermöglicht. Juan Esteller
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen