■ Kommentar: Bogen überspannt
Es ist noch einmal glimpflich abgegangen. Das „Bündnis Nimm 2“ hat in der Öffentlichkeit auf den skandalösen – vielleicht sogar schon kriminellen – Wohnraum-Leerstand hinweisen können, ohne daß wieder Dutzende der AktivistInnen mit Strafverfahren rechnen müssen. Und die Polizei hat darauf verzichtet, in gewohnter Rambo-Manier die Gebäude zu räumen – wie noch vor einigen Jahren am Kleinen Schäferkamp, als ein Panzerwagen in den Hausflur bretterte.
Sicher hat diese Zurückhaltung etwas damit zu tun, daß seit dem Polizeiskandal im Apparat Verunsicherung herrscht. Eine andere Ursache liegt aber auch darin, daß sich bei Polizisten langsam die Erkenntnis durchsetzt, daß die Bösen nicht immer diejenigen sind, die Häuser besetzen, sondern auch diejenigen sein können, die in intakten Wohnraum leerstehen lassen. Und Hausbesitzer Dabelstein hat den Bogen überspannt – nicht nur nach den Maßstäben derjenigen, die so gern zur „Szene“ gerechnet werden.
Dabelstein ist aber kein Alleintäter. Die politischen Verantwortlichen sitzen vielmehr im Hamburger Rathaus. Sie haben allen Warnungen zum Trotz 1989 nicht nur auf das Vorkaufsrecht der Stadt verzichtet, als Laue das Terrain an Dabelstein verscherbelte. Nein, sie haben ihn sogar als Wohltäter für die Stadt gepriesen.
Und jetzt? Entweder Dabelstein wird gezwungen, die Häuser instandzusetzen - und da bietet sich „Nimm 2“ an. Oder die Stadt kauft das Areal zurück. Und dann hätte ebenfalls „Nimm 2“ das moralische Recht, die Schanzenstraße 56-62 für ein Wohnprojekt zu bekommen. Kai von Appen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen