■ Kommentar: Grüne als dritte Kraft
Die FDP hat alle Chancen, einen bleibenden Platz in den Standardwerken der politischen Theorie zu ergattern: Als erste Partei, die lediglich in der Bundesregierung noch politisch präsent ist. Allein die nun einsetzende Agonie könnte Klaus Kinkel auf dem Parteitag Anfang Juni vor dem bewahren, was bereits auf dem Dezember-Parteitag in Gera fällig war – ein Wechsel an der Spitze. Doch wer will diesen verlorenen Haufen führen, und vor allem wohin? Keine Masse mehr, die zu manövrieren wäre; mangels zu vergebender Posten dürfte den Liberalen mittlerweile auch die Lust an dem vergangen sein, was für sie bislang Inbegriff des Parteilebens war, das Intrigieren.
In dem Maße, wie die Liberalen Wahl für Wahl untergingen und untergehen, rücken Bündnis 90/Die Grünen in die von der FDP hinterlassene linksliberale Lücke nach. Die Grünen können sich nicht allein ob dieses Umstands über ihre beiden Ergebnisse freuen. Die These, daß ein strikt realpolitischer Kurs die systemoppositionellen Reflexe der Klientel stärkt, hat sich in Bremen nicht bewahrheitet. Zudem dürfte den Grünen zugute gekommen sein, daß sie sich spätestens seit der Hessen-Wahl nicht mehr als Projektionsfläche für bürgerliche Ängste eignen. Sie haben es geschafft, ihre Etabliertheit in Stimmengewinne umzusetzen.
Stimmengewinne, an denen vor allem die SPD einen verlustreichen Anteil hat. Das strategische Dilemma, das bereits Hessens SPD-Chef Eichel quälte, die Modernisierer nicht erreichen und gleichzeitig die Stammklientel halten zu können, Sanierer und Betriebsrat der Gesellschaft in einem sein zu wollen, an diesem Dilemma laboriert nun auch der Bremer Spitzenkandidat Wedemeier herum. Der Erfolg der Gruppierung „Arbeit für Bremen“ sollte der SPD eine weitereichende Lehre sein: Wedemeier hat auf ein klares Votum für Rot-Grün verzichtet, der rechte Rand ist ihm trotzdem weggebrochen. Der bisherige Erfolg der nordrhein-westfälischen SPD galt als Beleg dafür, daß eine Politik der Umstrukturierung möglich ist, ohne daß die damit einhergehenden Verwerfungen die Integrationskraft einer regierenden SPD notwendigerweise überfordern müssen. Dabei ist die Bindungswirkung, die von Johannes Rau ausgeht, von zentraler Bedeutung. Doch kann nicht, wer integriert, deshalb notwendigerweise auch mobilisieren. Das schlechte Ergebnis der nordrhein-westfälischen SPD ist vor allem Resultat der geringen Wahlbeteiligung. Von diesem Umstand profitieren Bündnis 90/Die Grünen. Ihnen ist zudem zugute gekommen, daß sie mittlerweile ihre von Joschka Fischer „Sofortismus“ titulierte Kinderkrankheit hinter sich gelassen und an Weitsichtigkeit selbst Rau eines vorweg haben. Denn im Gegensatz zu ihm haben sie bereits ihre „zentrale Kommission“ für eine mögliche Koalitionsbildung bereits bestimmt. So falsch lagen sie damit nicht. Dieter Rulff
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