piwik no script img

■ KommentarKein Gesinnungsurteil!

In der großen Empörung um das Hamburger „Auschwitz-Mythos-Urteil“ verstieg sich der ehemalige FDP-Landesvorsitzende Robert Vogel zu einer Einschätzung, die nicht unkommentiert bleiben sollte. Vogel fand es „schrecklich, daß sich das Mannheimer Deckert-Urteil wiederholt hat.“

Das Hamburger Urteil mag in seiner öffentlichen Wirkung „schrecklich“ sein, mit dem Mannheimer Richterspruch ist es überhaupt nicht vergleichbar. Der Mannheimer Richter Rainer Orlet hatte den Neonazi-Führer Joachim Deckert nicht freigesprochen, sondern verurteilt. Der Skandal steckte in der Urteilsbegründung, die Deckert zum Biedermann machte und mit der sich Orlet als brauner Jurist outete.

Der Hamburger Amtsrichter Albrecht Kob hat freigesprochen, seine Urteilsbegründung liegt noch nicht vor. Mit Kob hat sich kein Rechter in schwarzer Robe offenbart, allenfalls einer, der von Sprachakrobaten reingelegt wurde.

Die aufgeregten Politiker-Reaktionen wären nur durch ein Gesinnungsurteil zu vermeiden gewesen, das in der Sache kaum standgehalten hätte. Kob hätte den angeklagten Neonazis eine Interpretation des Begriffes „Mythos“ unterstellen müssen. Er hätte verurteilen sollen für das, was gemeint war, nicht für das, was gesagt war.

„Mythos“ hat laut Duden-Fremdwörterbuch drei Bedeutungen. Es steht für „überlieferte Dichtung, Sage oder Erzählung“. Ein „Mythos“ kann aber auch eine „glorifizierte Begebenheit“ sein – und schließlich kann eine falsche Vorstellung beschrieben werden. Allein in der letzten Bedeutung kann der „Auschwitz-Mythos“ mit der „Auschwitz-Lüge“ gleichgestellt werden. Wie soll ein Richter aus diesem Dilemma herauskommen, wenn er im Zweifel für die Angeklagten votieren muß?

Der Hamburger Richterspruch ist für die deutsche Jurisprudenz erträglicher als Gesinnungsrechtsprechung, die richterlicher Willkür Tür und Tor öffnen würde. Mit den Neo-Nazis müssen wir schon politisch fertig werden.

Jürgen Oetting

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen