■ Kommentar: Kein Einzelfall
Heute werden sie anrufen, die Damen und Herren vom Landessozialamt, und den „Einzelfall“ in der Wohlers Allee 76 zutiefst bedauern. Daß sie ja keine Ahnung gehabt hätten, mit welch fiesen Tricks ein geldgieriger Vermieter sie zu täuschen versuchte. Wie seine Angaben widerlegen? Etwa vor Ort nachschauen, was Sache ist? Das wäre, mit Verlaub, nicht Behörden-Art. Blind und wie selbstverständlich schenkte das Landessozialamt den Behauptungen des Vermieters mehr Glauben als schriftlichen Beweisen einer Mieterin.
Doch die Wohlers Allee ist kein Einzelfall. Seit Jahren werfen Obdachlosen-Verbände der Behörde vor, ihre Kontrollen bei der Anmietung von Wohnraum grob zu vernachlässigen. Wucherpreise werden ebenso selten angezweifelt wie die Menschenunwürdigkeit der meist winzigen Löcher. Hauptsache, Armut und Verwahrlosung verschwinden von der Straße. Da guckt die Behörde nicht auf die Mark.
Anstatt steuernd einzugreifen, sieht die Stadt lieber dem Leerstand und Verfall ihrer eigenen Gebäude zu. Projekte zur Umgestaltung städtischer Häuser zu Obdachlosenwohnungen, wie jüngst von Pastor Christian Arndt für St. Pauli vorgeschlagen, läßt sie politisch scheitern. Warum sollten Obdachlose auch gleich in den Genuß einer WG kommen?
Heute werden sie anrufen, die Damen und Herren des Landessozialamts, und sich auf die Schulter klopfen: Den dreisten Vermieter hätten sie entlarvt. Und die Mieterin könne beruhigt weiter in dem Haus wohnen.
Und ein paar Tagen berichten wir über den nächsten bedauerlichen Einzelfall.
Heike Haarhoff
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