■ Kommentar: Was sonntags nervt: Glockenläuten
„Ich vermisse da gar nichts!“ Der bohrende Blick einer alten Bekannten und ehemaligen Internationalistin läßt mich schuldbewußt zu Boden blicken. Es war die falsche Antwort auf ihre drängende Frage: „Warum hört man immer noch nichts von den Berliner Moscheen?“ Früher fehlte ihr die Revolution, Radikalität und ein gerüttelt Maß an Arbeiterkampf. Heute vermißt sie den Ruf des Muezzins in Berlin. Mir wird an diesem Abend klar, daß es in Zukunft kein neutrales Abseitsstehen gibt, wenn die Monotheisten sich darum keilen, wer nun mehr Flagge und Stimme in unseren Städten zeigen darf. Sollen demnächst also Muezzins über deutschen Dächern zum Gebet aufrufen und mit dem Glockenläuten in Konkurrenz treten?
Wie ich mich der Sache auch annähere, es bleibt dabei: Der Rufer auf dem Turm der Moschee würde genauso stören wie das christliche Glockenläuten. Vor allem dann, wenn einem der Lärm nach einer durchzechten oder durcharbeiteten Nacht am Sonntag morgen gnadenlos aus dem Bett wirft.
Die Hartnäckigkeit, mit der Christen auf ihr Gebimmel bestehen, habe ich stets als einen Willkürakt gegen uns Atheisten verstanden. Als eine penetrante Form des Missionseifers, der viele Monotheisten so unsympatisch macht. Wer möchte schon mitten in der Nacht mit einem Paukenschlag an die Zehn Gebote erinnert werden? Wem nützt dies? Und was treibt Gläubige dazu an, dem Rest der Welt mitzuteilen, welchem Scharlatan sie hinterherrennen?
Ich habe deshalb viel Verständnis für den Widerstand, der sich in Deutschland den Muezzinrufen entgegenstellt. Es macht eben einen Unterschied, ob sich jemand, wie mein Mitbewohner, einen krächzenden Moscheewecker neben sein Bett stellt oder ob er sein Glaubensbekenntnis laut hinausschreit. Im Gegensatz zu einem Muezzin verstummt der Wecker sofort, wenn er seinen Dienst erfüllt hat, und stört nicht die Nachbarn.
Natürlich stört mich nichts Grundsätzliches am Allah-u-Akbar. Tausende von Kilometer bin ich schon gereist, um dem Klangteppich zu lauschen, der sich zum Abendgebet über Marrakesch, Istanbul oder Kairo legt. Natürlich muß ich mich an dieser Stelle auch von den christlich-fundamentalistischen Eiferern in Duisburg und anderswo distanzieren. Denen geht es um die Ausschaltung unliebsamer Konkurrenz und damit um die Monopolstellung des christlichen Glockenschlags. Mir geht es um mein Recht, in einem religiös weitgehend neutralen Umfeld zu leben. Religionen haben der Welt selten etwas Gutes gebracht. Den Dominanzgelüsten der Monotheisten, die sich derzeit im Rangeln um die Filetstücke im deutschen Lärmteppich manifestieren, kann man daher nur mit größtem Mißtrauen begegnen.
Betrachten wir die Verbissenheit, mit der in Deutschland vielerorts auch noch um die Höhe von Kirchtürmen und Minaretts gerungen wird, kann man sich nur mit Grausen abwenden. Es geht um kindliche Machtbesessenheit. Um so ärgerlicher ist es, wenn man im bundesdeutschen Streit der Monotheisten Partei ergreifen muß. Aber solange Kirchenglocken frei sich schwingen, kann die Devise nur lauten: Mir sind die Phonstärken des Muezzins zwar unsympatisch, aber wenn es denn unbedingt sein muß, soll er schreien. Eberhard Seidel-Pielen
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