■ Kommentar: Wenn Sparen teuer wird
Noch ist nichts passiert. Die beiden Jugendclubs in Kreuzberg wurden vorsorglich geschlossen, weil die Gewalt eskalierte. Opfer sind wieder einmal die Jugendlichen selbst. So weit, so schlecht. Doch der Vorfall zeigt noch mehr. Wenn sich Innensenator Schönbohm darüber beschwert, daß die Nachricht von der Schließung der Jugendclubs die Polizei erst erreicht, wenn die Kriminalitätsrate ansteigt, beweist er, was Streetworker und Jugendpolitiker predigen: Kürzung bei den Sozialleistungen bringt Arbeit für Polizei, Gerichte und Gefängnisse. Das aber zeigt, wie kurzsichtig unter dem Eindruck des Spardiktats die Politik geworden ist: Weil man das Loch in diesem Jahr schließen muß, werden die sozialen Bedingungen für die nächsten Jahre verschärft. Besonders Jugendliche, besonders Immigrantenkinder, leiden unter der Unsicherheit, weder Ausbildungsstelle noch gesicherten Status oder Perspektive zu haben. Frust entlädt sich in Gewalt, und Gewalt kommt neben dem Leiden der Opfer auch die Gesellschaft teuer zu stehen: Strafverfolgung, Justiz und Gefängnis sind weitaus teurer als Prävention.
Wer, wie in diesen Tagen so beliebt, beim Thema Verbrechensbekämpfung auf die USA schielt, der sollte richtig hinsehen: In den USA sitzen derzeit mit 0,6 Prozent der Bevölkerung mehr Menschen im Knast als je zuvor und als irgendwo sonst. Das ist auch eine Folge der zero tolerance, der Idee von harter Repression selbst bei kleinsten Vergehen. Die überfüllten Gefängnisse wiederum kosten viel Geld, in den USA ist man deshalb dazu übergegangen, sie zu privatisieren. Das aber ist die endgültige Kapitulation der Gesellschaft vor dem Phänomen Verbrechen – wegschließen, ohne nach Sinn, Verstand und Folgen zu fragen. Ihren Anfang aber nimmt diese Situation dort, wo aus kurzsichtiger Sparwut die soziale Situation bis zum Explosionspunkt hochgekocht wird. Bernhard Pötter
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