■ Kommentar: Auf der Strecke
„Er war's“: Mit dieser und ähnlichen Schlagzeilen suchten gestern Hamburgs meinungsbildende Zeitungen Käufer. Die Auflagen gingen weg wie warme Semmeln und mit ihnen ein Stück Rechtsstaat und journalistische Moral.
Zumindest so lange, wie ein Beschuldigter die ihm vorgeworfene Straftat bestreitet, gilt: Nicht unter Erfolgsdruck stehende Polizisten, nicht sommergeile Journalisten, sondern einzig und allein das nach dem Gesetz bestimmte Gericht hat festzustellen, ob ein Verdächtiger und eines Tages Angeklagter der Täter ist.
Das haben die meisten Kollegen scheinbar vergessen. Polizeireporter und Chefredakteure, die rein zufällig gerade mal nicht mit dem Grundgesetz unterm Arm herumlaufen, sind sich einig: Wir haben monatelang eine Suchaktion gestartet und nun muß, ob schuldig oder nicht, der Täter her.
Auf der Strecke bleiben: Die Strafprozeßordnung, das Grundgesetz, die Unschuldsvermutung zugunsten eines „noch immer bestreitenden“ dringend Tatverdächtigen, der journalistische Ehrenkodex, das Persönlichkeitsrecht eines möglicherweise eines Tages Angeklagten, dessen Foto in Farbe millionenfach gedruckt wurde sowie seine Familie, die jetzt von Polizeireportern und anderem Pöbel gejagt wird.
Der Rechtsstaat geht leise baden und überläßt seinen Gegnern langsam und schleichend das Feld. Noch wagen sie nur eines nicht zu drucken, nämlich daß der möglicherweise zu Recht Beschuldigte Mitglied der jüdischen Gemeinde ist.
Aber vielleicht haben sie das bislang nur noch nicht rausgekriegt. Hilmar Zschach
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