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KommentarDie Krise als Chance

■ Wer die Tour de France liebt, begrüßt die Eskalation

„Wir sind doch nur Radfahrer!“ Jens Voigt, der sympathische Berliner Youngster im Feld der Tour de France, war fassungslos über die Polizeiaktionen. Er sieht die Pedaleure wie Kinderschänder behandelt. Der Streik auf der Etappe nach Aix- les-Bains war die Konsequenz dieser Empörung, und die Zuschauer klatschten artig Beifall dafür, daß sich die Fahrer nicht alles bieten lassen. In einer TED-Umfrage der ARD zeigten mehr als 70 Prozent Verständnis für den Protest. Doch genau dieselben Zuschauer sind davon überzeugt, daß sowieso „alle“ gedopt sind. Einerseits hat man also die Tour als radelnde Apotheke abgespeichert, andererseits soll man doch bitte die Fahrer in Ruhe lassen, damit die Show weitergeht.

Würde man das Publikum auch noch fragen, ob es an die Selbstreinigungskräfte des Radsports glauben, wäre die Antwort ebenfalls eindeutig: Nein! Radsportverband und Tour-Leitung gingen in der Vergangenheit derart nonchalant mit Dopingvergehen um, daß von den verluderten Funktionären wenig zu erwarten ist. Aus dieser Sicht war der Zugriff der Justiz wünschenswert, angesichts der Verdachtsmomente sogar rechtlich zwingend. Die Forderung der Fahrer, man möge sie bis zum Ende des Rennens in Ruhe lassen, ist mit dem Gesetz unvereinbar. Doping widerspricht nicht nur den Statuten der Radler, der Handel mit solchen Medikamenten ist in Frankreich auch eine Straftat. Dagegen muß die Polizei vorgehen, sonst kann sie auch Banküberfälle freigeben.

Zugleich hat das Vorgehen der Justizorgane den polizeilichen Alltag transparent gemacht: Durchsuchungen und Vernehmungen sind ruppig und oft mit Übergriffen verbunden. Da geht es den Radfahrern wie anderen Opfern. Diese Praxis muß man kritisieren, egal ob es sich um Tour- Helden, Junkies oder Kaufhausdiebe handelt. Auch unter Dopingverdacht stehende Fahrer haben das Recht auf eine menschenwürdige Behandlung. Und das Recht auf einen Neubeginn. Die Überzeugung, daß diese Sportart von Grund auf und für immer versaut ist, mag zwar das eigene Weltbild zementieren, es hilft aber nicht bei der Suche nach Wegen, diesen großartigen Sport zu retten. Die Tour 98 könnte als Wendemarke in die Geschichte eingehen. Polizeirazzien und Fahrerstreiks sind offenbar notwendig, um der Frankreichrundfahrt wieder in den Sattel zu helfen. Wer die Tour liebt, muß diese Eskalation begrüßen. Manfred Kriener

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