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KommentarRußlands Krise als Retter?

■ Mit den Moskauer Turbulenzen steigen Kohls Wahlchancen

Die meisten Deutschen haben Helmut Kohl schon seit längerem abgeschrieben. Die Umfragen zeigen stabile Trends – die SPD bleibt bei 41, die Union hängt bei 38 Prozent. Und doch ist das Rennen noch längst nicht gelaufen. Seit der Vereinigung war keine Wahl so spannend.

In den nächsten dreieinhalb Wochen wird sich nämlich zeigen, ob Helmut Kohl am Ende nicht doch noch das Glück hilft. Retten könnte ihn, wieder einmal, die außenpolitische Konstellation. Denn für Kohl galt bislang: Je mehr es außerhalb der Landesgrenzen stürmte, um so mehr sehnen sich viele nach dem Steuermann. In Erinnerung gerufen sei der Herbst 1989, als die Umwälzungen in der DDR und Osteuropa den Wähler zu Kohl führten. Und heute? Rußland steht vor dem Staatsbankrott, eine Beteiligung der Kommunisten an einer neuen Regierung in Moskau ist von vielen Unwägbarkeiten begleitet, insbesondere in der Frage der EU- und Nato-Erweiterung in Osteuropa. Schließlich mehren sich die Zeichen für eine Weltwirtschaftskrise, trotz beschwichtigender Appelle der Finanzexperten.

Dort liegt Kohls Chance – zumal seine Kontrahenten hier schlechte Karten haben. Schröder hat in den letzten Wochen durch symbolische Auftritte versucht, an staatsmännischer Statur zu gewinnen. Und die außenpolitischen Vorstellungen der Grünen bieten genügend Material, das sich im Wahlkampf verwerten läßt.

Nun heißt eine der geflügelten Thesen hierzulande, daß mit außenpolitischen Themen keine Wahl zu gewinnen sei. Das mag für Zeiten stimmen, in denen die Außenpolitik die Menschen nicht unmittelbar berührt. Doch Rußland ist nicht das ferne Asien, sondern ein naher Partner, auf den deutsche Politik stets ihr besonderes Augenmerk werfen muß. Kohl personifiziert dies durch seine – publizistisch aufgebauschte – Männerfreundschaft mit Jelzin. Bei allen Treueschwüren weiß Kohl aber, daß sie nur so lange währt, bis die Realität zu einem Arrangement mit einem neuen starken Mann in Moskau zwingt.

Die Frage ist, ob der Union das Weltgeschehen wieder einmal zupaß kommt – und wie sie daraus Nutzen zieht. Plötzlich eröffnet sich die Möglichkeit, in diesem Wahlkampf Ängste zu verstärken und zugleich zu nehmen – über die Person Helmut Kohl. So ähnlich hatte die Union sich das mit dem Thema Euro gedacht. Nun könnte Rußland die Krücke sein. Severin Weiland

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