■ Kommentar: Erst die halbe Miete
Der Wohnungsmarkt in der Stadt rotiert und mit ihm die Fluktuation in den Quartieren. Familien mit Geld in der Börse drängen ins Umland. Das Angebot in den wöchentlichen Immobilienanzeigen für Alt- und Neubauten schießt ins Kraut. Und trotzdem mangelt es an günstigen Wohnräumen für sozial Schwache. Die Senkung der Fehlbelegungsabgabe ab 1999 für satte 45.000 Haushalte bedeutet darum kaum mehr als die halbe Miete, den besonderen Status der „Mieterstadt Berlin“ zu retten. Als Instrument, die soziale Mischung unterschiedlicher Einkommensgruppen in typischen Stadtteilen zu sichern, ist sie der rechte Weg. Denn im Sozialwohnungsbestand drohen die gewachsenen Strukturen zu zerbrechen. Wer bleibt schon gerne in Sozialpalästen wohnen, um die sich weder Mieter noch Vermieter, Bezirk oder das Land scheren?
Zugleich geht von der Senkung der Fehlbelegungsabgabe auch das Signal aus, die Stadt als Wohnort und das Viertel als Identifikationsraum zu begreifen. Wo so viele nach draußen ziehen und der Hütte auf der grünen Wiese mehr abgewinnen können als dem Stadthaus, kann diese sozialpolitische Entscheidung als Bremse wirken.
Die Regelung bedeutet darüber hinaus, der Wohnungspolitik der 70er Jahre endgültig ade zu sagen. Sie bildet quasi die letzte Reaktion auf die teuren, öffentlich geförderten Bauten, von deren Fürsorge und Verpflichtung gegenüber den Mietern man sich über das neue Gesetz finanziell verabschieden will. Diese andere halbe Miete zahlt das Land nicht mehr. Rolf Lautenschläger
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