Kommentar: Die Union greift an
■ Staatsangehörigkeitsrecht: Spaltet die Reform die Nation?
Einst waren wir ein glückliches Volk, das war deutsch und wurde von der Union regiert. Heute dirigiert Rot-Grün in Bonn und droht das Glück zu verspielen. „Die Ausländerpolitik der rot-grünen Koalition gefährdet die Sicherheit in Deutschland stärker als der Terrorismus der RAF in den 70er und 80er Jahren.“ Das meint der bayerische Ministerpräsident Stoiber im Vorfeld der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Wir verstehen ihn: Die Sozis sind unser Unglück. Und erinnern: Damals, im Zeitalter der RAF, bedrohte die ordnungspolitische Unfähigkeit der Sozialliberalen unser aller Sicherheit. Und heute? Rot-Grün öffnet mit der doppelten Staatsbürgerschaft den anatolischen und asiatischen Horden Tor und Tür.
Noch vor wenigen Wochen hätte man die von der CDU und CSU initiierte Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft unter der Rubrik abgeheftet: Der Abschied von Gewohntem fällt Konservativen schwer – besonders wenn es dabei um altdeutsche Homogenitätsvorstellungen geht. Aber inzwischen haben sich die Koordinaten im nationalen Wohlfühlsystem verschoben. Eine Ergebnis der vorweihnachtlichen Walser/Bubis- Debatte lautet: Eine unsichere, normalitätssüchtige Nation sucht nach einer neuen Identität. Das wird nicht ohne Rückwirkungen auf das Verfahren zur Reformierung des Staatsangehörigkeitsrechts bleiben. Denn inzwischen ist auch der ausländerpolitische Konsens des aufgeklärten Bürgertums aufgekündigt. Zu viele Ausländer, zu viele potentielle Attentäter, zuwenig integrierte Fremde – darüber wird heute auch in den entstehenden Salons der Hauptstadt debattiert.
Die Rechnung der Union mit den Ressentiments von gestern könnte also durchaus aufgehen. Zum einen ist Bundeskanzler Gerhard Schröder nicht der Mann, der Millionen Anti-Reform-Unterschriften die Stirn bieten wird. Und zum anderen ist eine gesellschaftliche Bewegung, die dem von der Union vom Zaun gebrochenen Kulturkampf entgegentritt, derzeit nicht in Sicht. Ausländerpolitik, das war bis heute vor allem ein Thema für philanthropische Sonntagsreden. Die Erkenntnis, daß man für Bürgerrechte notfalls auch fighten muß, gehört dagegen noch nicht zur Grundausstattung der normalen deutschen Identität. Gut möglich, daß deshalb das Jahrhundertreformprojekt ins nächste Jahrzehnt verschoben wird. Eberhard Seidel-Pielen
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