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KommentarReformen im Taschenbuchformat

■ Bill Clintons Lagebericht kehrte die Fronten um

Clintons Bericht zur Lage der Nation verkehrte die Washingtoner Fronten. Der Präsident war gut gelaunt und in Hochform, seine Ankläger saßen mit sauertöpfischer Miene, den Blick kaum hebend, in ihren Sesseln. Nicht Clinton, sondern ihnen schien das Ereignis peinlich.

Wenn Clinton das gegen ihn laufende Verfahren auch mit keinem Wort erwähnte, so sprach er doch ständig davon. Seine Message: Washington hat Wichtigeres zu tun, als sich mit der Amtsenthebung eines populären Präsidenten zu beschäftigen. Wiederholt forderte er, parteiübergreifend Aufgaben anzupacken, und jedesmal, wenn er sagte: „das laßt uns gemeinsam anpacken“, sagte er zugleich, „laßt den Quatsch mit dem Impeachment, wir haben Wichtigeres zu tun“. Wenn die Republikaner sich dieses Jahr des üblichen Beifalls enthielten, demonstrierten sie eher ihre als des Präsidenten Isolierung.

Und wie sieht die Vision aus, die Clinton für das Amerika des 21. Jahrhunderts ausmalte? Sichere Renten, billigere Medikamente, bessere Schulnoten, qualifiziertere Lehrer, mehr Polizei in, mehr Grünflächen vor den Städten. Von seinen 77 Redeminuten verwandte er ganze 10 auf die Außenpolitik und die Krisenherde der Welt. Hatte Clintons Vorgänger George Bush sich noch über die Idee lustig gemacht, Präsidenten sollten Visionen für ihr Land und die Welt haben, legt Clinton Visionen im Taschenbuchformat auf. Seine Programme und Reformvorschläge berühren das Leben der Menschen unmittelbar. Eigentlich Kommunalpolitik. Das ist das Geheimnis der Unempfindlichkeit Clintons gegen die Angriffe seiner Gegner: Es sieht alles danach aus, als käme das Land auch ganz gut ohne Washington zurecht. Durch ein fast vierprozentiges Wirtschaftswachstum und die niedrigste Arbeitslosigkeit in Friedenszeiten erledigen sich viele – nicht alle – Probleme wie von allein: Der Staatshaushalt fährt Überschüsse ein, womit erstmals seit 30 Jahren nicht der Mangel, sondern der Überfluß zu verwalten ist. Washingtons politische Klasse kann sich die Lewinsky-Operette leisten, ohne daß davon ein unmittelbarer Schaden für das Land ausgeht. Clinton ist in der glücklichen Lage, kleinere Reparaturen beantragen zu können, die populär sind. Daß die meisten seiner Programme wahrscheinlich abgelehnt werden, wird das Gefühl nur verstärken, daß Washington für das Leben der Menschen bedeutungslos geworden ist. Peter Tautfest

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