■ Kommentar: Verantwortungslos
Henning Voscherau, amtierender Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt, hat es seinen Kritikern mal wieder gezeigt. Wer an ihm, seinem Senat und ehrwürdigen Hamburger Immobilienspekulanten herummäkele, sei verantwortungslos.
Hamburg im Jahre 1995, das ist nicht etwa ein modernes demokratisches Gemeinwesen des ausgehenden 20. Jahrhunderts, sondern ein Ständestaat, in dem allein Senat und Kaufleute bestimmen, was zu geschehen habe und welche öffentliche Meinung darüber zulässig ist.
Voscheraus maßlose Attacke gegen die Kritik von Hamburgs renommiertestem Architekturjournalisten an einem der umstrittensten Bauprojekte der Stadt könnte als läßliches Ausflippen entschuldigt werden, handelte es sich um einen Einzelfall.
Doch bei Henning Voscherau, der in Gesellschaft wirtschaftlicher Potentaten gewöhnlich so klein wird wie sein Industriekumpel Gerhard Schröder aufgeblasen, hat dieses Ausflippen Methode. Ob er Dossiers gegen den unbestechlich unabhängigen Ex-Koalitionspartner Robert Vogel anlegen ließ, innerparteiliche Kritiker mit gezielten Kampagnen unter Druck setzt oder Gewerkschaftsvorsitzende öffentlich maßregelt, weil sie sich erdreisten, rot-grüne Koalitionen erstrebenswert zu finden: Wer im Königreich Hamburg gegen den Notar Voscherau, das Allmachtstreben der SPD oder die hochweise Kungelei von Senat und Investoren gegen die Interessen der Stadt aufbegehrt, kann sich des Zorns des Ersten Bürgermeisters sicher sein.
Besonders bemerkenswert ist jedoch, wie Henning Voscherau in den letzten Jahren dabei zunehmend den letzten Anschein demokratischer Contenance fahren läßt. Peinlich und entwürdigend für die Bürger dieser Stadt, auch für jene mehr als 70 Prozent, die nicht SPD wählen, wenn der gewählte Stadtchef den billigen Wadenbeißer für einen selbstgefälligen Self-Made-Häuslebauer spielt und sich dabei nicht schämt, den feudalistischen Stadtregenten raushängen zu lassen.
Hätte Manfred Sacks lebendiger Artikel noch eines Belegs für seinen Wahrheitsgehalt bedurft – Voscherau hat ihn geliefert.
Florian Marten
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