■ Kommentar: Straffreie Gemeinheit
In Würde zu sterben ist ein Menschenrecht, auch wenn man im Knast sitzt und Aids hat. Martina L.s Bruder war erst 33, als er starb. Alleine in einer Zelle. Daß die Schwester angesichts massiver Behördenwillkür nichts Schlimmeres entglitten ist als ein „Beamtenschwein“, ist fast ein Wunder.
Der Staatsanwalt hat sich anständig verhalten; das Verfahren wurde eingestellt. Eigentlich müßte man mit dem Ausgang – es gibt doch noch Gerechtigkeit! – hochzufrieden sein.
Und doch bleibt dieses unwohle Gefühl, wenn man an den todkranken Häftling Frank R. in Fesseln denkt. Erich Honecker kommt einem in den Sinn, der – zu Recht – wegen krankheitsbedingter Haftunfähigkeit entlassen wurde. Aus humanitären Gründen. Man muß auch an den Polizeiskandal denken, und daß dort niemand dazu angehalten wurde, sich bei den Opfern für rassistische Beschimpfungen – von Taten ganz zu schweigen – zu entschuldigen.
Gemeinheiten sind nicht strafbar. Wenn Bedienstete der Ausländerbehörde oder des Sozialamtes diejenigen, denen sie ihren Arbeitsplatz verdanken, dreimal wegschicken und wieder antanzen lassen, weil irgend etwas fehlt, was man schon beim ersten Mal hätte erwähnen können, kann man nichts machen. Nur verzweifeln. Schikane ist ja kein Verbrechen.
Ein Vollzugsbeamter, der über den Kummer von Martina L. grinsen muß, kann sich eigentlich nur vor sich selbst ekeln, wenn er in den Spiegel guckt.
Menschlichkeit kann vom Justizapparat nicht eingeklagt werden. Aber sie stünde ihr verdammt gut zu Gesicht.
Silke Mertins
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