piwik no script img

KommentarApo will leben

■ PKK-Chef Öcalan reicht dem türkischen Staat die Hand

Nach vielen Irrungen scheint Abdullah Öcalan am Ende seines Weges angekommen: 15 Jahre Guerillakampf – sorry, war nicht so gemeint. Öcalans Verwandlung in eine Friedenstaube ist sowenig überzeugend, daß sich in PKK-nahen Kreisen auf ewig die Überzeugung halten wird, sein gestriger Auftritt sei das Ergebnis einer Gehirnwäsche.

Für neutrale Beobachter ist sein Angebot, künftig für den Frieden und die Zusammenarbeit zwischen Kurden und Türken wirken zu wollen, so unglaubwürdig, weil keine Auseinandersetzung mit dem Kampf der PKK damit einhergeht. Keine Selbstkritik, keine Analyse der Motive und Legitimation des bewaffneten Kampfes, keine historische Einordnung des kurdischen Kampfes für Selbstbestimmung oder einen eigenen Nationalstaat im Kontext der Entwicklungen in Europa und Asien. Apo tat vielmehr so, als ginge ihn die PKK nichts mehr an, als könne er nur noch für sich selbst reden.

Für die PKK wird sich nun rächen, daß Öcalan für sie jenseits aller Kritik stand. Selbst wenn sich in den eigenen Reihen die Version vom gefolterten Öcalan durchsetzt, im Stillen wird die Enttäuschung über dessen gestrigen Auftritt Wirkung zeigen. Jenseits der Parteipropaganda wird sich so mancher Kämpfer fragen, warum er seinen Kopf hinhalten soll, wenn der große Apo mit dem türkischen Staat zusammenarbeitet. Tatsächlich scheint dies, soweit man es nach dem ersten Prozeßtag beurteilen kann, die Strategie Öcalans zu sein: den türkischen Staat davon zu überzeugen, daß er lebend wertvoller ist als tot. Ein lebender Öcalan kann weit mehr dazu beitragen, die PKK zu demoralisieren und letztlich zur Aufgabe zu bewegen, als ein Führer, der nach seiner Hinrichtung zum Märtyrer wird.

Bestätigt sich im Laufe des Prozesses, was Öcalan nun angedeutet hat, werden die eigentlichen Verlierer die Kurden in der Türkei sein. Öcalan ist dabei, viele die ihm blind vertraut haben, zu verraten.

Das macht das eigentliche Problem des Kampfes der PKK noch einmal deutlich: Die PKK ist keine demokratische Bewegung. Wenn der Kampf der kurdischen Minderheit erfolgreich sein will, muß er ebenso auf einer demokratischen Basis aufgebaut sein, wie die Türkei insgesamt demokratisiert werden muß. Nur dann können die unterschiedlichen Völker der Türkei in Frieden miteinander auskommen. Jürgen Gottschlich

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen