■ Kommentar: Das Reich der Armen
Das Reich des Bezirks Mitte ist bekannt für Kungeleien unter Parteifunktionären und Genossen. Warum also sollten die Sozis ausgerechnet beim Armutsbekämpfungsprogramm andere als parteiinterne und machtpolitische Ziele verfolgen? Aber ebenso wenig, wie ihr im Beschäftigungsverbund überrascht, überzeugt die Taktik der enttäuschten Stadtteil-Inis.
Beleidigt die Türen knallen und dann auf Reue der Gescholtenen hoffen, ist eine Illusion. Jedenfalls solange die Machtverhältnisse so klar sind wie in St. Pauli. Die SPD hat erreicht, was sie wollte: Hinter verschlossenen Türen schustert sie nun mangels lästiger Zwischenfrager hübsch die Töpfe nach Parteisympathien zu.
Bürgernahe Mitbestimmung zu organisieren ist unbequem und zeitraubend. Die Stadtentwicklungsbehörde verprellt die bezirklichen Genossen nur ungern und versteckt sich daher – statt steuernd einzugreifen – hinter fadenscheinigen Argumenten. Wer also außer den Stadtteil-Inis – so verständlich ihre Verärgerung ist – soll überhaupt noch Alibi-Kontrolle übernehmen?
Am Sinn des Armutsbekämpfungsprogramm darf füglich gezweifelt werden: Der Streit um die Verteilung der ohnehin viel zu knappen Mittel und die aufwendigen Studien, die erst „die Not“ ermitteln sollen, werden das auf lächerliche drei Jahre begrenzte Programm überdauern, von der Armuts-Ursachen-Bekämpfung ganz zu schweigen.
Befriedigt wird einzig die Neugier derer, die ethnologische Studien über machtversessene Politiker betreiben oder den empirischen Beweis erbringen wollen, daß arm bleibt, wer arm ist.
Heike Haarhoff
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