Kommentar zur Minderheitsregierung in NRW: Die Chance der Linken
"Koalitions- und regierungsunfähig" fand SPD-Chefin Kraft die Linkspartei in NRW noch vor zwei Monaten. Nun kann diese im größten Bundesland SPD und Grüne kritisch, aber konstruktiv begleiten.
N iemals wollte Hannelore Kraft zusammen mit der Linkspartei regieren. "Koalitions- und regierungsunfähig" sei die, verkündete Nordrhein-Westfalens SPD-Chefin in ihrem Wahlkampf überall. Ein erstes Sondierungsgespräch ließ sie nach wenigen Stunden platzen: Schockiert hatte sie, dass manche Linke drohten, selbst gegen Beschlüsse der eigenen Regierung auf die Straße zu gehen.
Zwei Monate später ist die Sozialdemokratin auf die Linkspartei angewiesen: Zur eigenen Mehrheit fehlt ihrer Regierung im Düsseldorfer Landtag eine Stimme. Der neue CDU-Fraktionschef Karl-Josef Laumann aber will ihre Minderheitsregierung "attackieren und jagen", und sein FDP-Kollege warnt bereits vor der drohenden "bürokratischen Staatswirtschaft" unter Rot-Grün.
Für die Linkspartei ist das eine riesige Chance. Sie kann Sozialdemokraten und Grüne im größten Bundesland kritisch, aber konstruktiv begleiten. Ihr parlamentarisch unerfahrener, selbst in der eigenen Partei als chaotisch verbuchter Landesverband könnte nicht nur Politikfähigkeit beweisen: Die Linkspartei könnte zudem zeigen, dass die Spaltung der politischen Linken, die bei der Bundespräsidentenwahl zu besichtigen war, überwindbar ist. Denn: Würde Krafts Düsseldorfer Minderheitsregierung zu einem Erfolgsmodell - was spräche dann nach der Bundestagswahl 2013 noch gegen ein rot-grün-rotes Bündnis in Berlin? Nichts. Der Sog des Erfolgs in Nordrhein-Westfalen wäre einfach zu groß.
ANDREAS WYPUTTA ist Korrespondent der taz für Nordrhein-Westfalen.
Unrealistisch ist das nicht. Schon heute loben führende Linksparteiler Krafts Minderheitsmodell als "lebendig" und "ehrlich" - und deuten an, mit einer Enthaltung zum Landeshaushalt die erste große Hürde abräumen zu wollen. Und mag manchen Abgeordneten der Linkspartei die Einführung der Gemeinschaftsschule oder die Abschaffung der Studiengebühren auch nicht schnell genug gehen: Verweigern werden sie sich wohl kaum.
Die Skeptiker unter den Sozialdemokraten dagegen stehen unter Druck. Denn die Grünen fürchten schon heute, dass sich die SPD doch noch in Richtung große Koalition mit der CDU aufmachen könnte - und sprechen sich deshalb zumindest unter der Hand dafür aus, sich informell durch die Linkspartei tolerieren zu lassen. Das ist Krafts einzige realistische Chance. Doch wenn ihr das Kunststück gelingt, wird es weit über Nordrhein-Westfalen hinaus ausstrahlen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen