Kommentar zum Kunstfund: Restitution geht vor Bodenfund
Die Funde bedeuten eine hohe Verantwortung, die Berlin für die Objekte, deren Geschichte und Zukunft wahrzunehmen hat. Der Skulpturenfund verweist auf die Moral und die Praxis, wie wir mit dem Raub und dem Unrecht der Nazis umzugehen haben.
Wie Goldgräber nach erfolgreicher Schürfaktion dürfen sich die Archäologen, Museumsleute und letztendlich wir alle über die elf Skulpturen der Moderne freuen, die vor dem Roten Rathaus entdeckt wurden. Der Schatz ist riesig, gerade weil die Funde "Entarteter Kunst" auf das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte und die von den Nazis diffamierte Kunst verweisen. Denn geraubte oder beschlagnahmte Kunst zwischen 1933 und 1945 steht in Deutschland synonym für Vertreibung und Vernichtung. Umso mehr sind die verschollen geglaubten und nun wiederaufgetauchten Werke Zeugnisse eines späten Triumphs über jene Jahre der (Kunst-)Barbarei.
Das bedeutet zugleich eine hohe Verantwortung, die Berlin für die Objekte, deren Geschichte und Zukunft wahrzunehmen hat. Weil die Skulpturen rechtlich als Bodenfunde gelten und darum Eigentum des Landes sind, ist eine Restitution nicht zwingend. Die Galerien und Museen in Stuttgart, Breslau, Karlsruhe oder Berlin - vormals Eigentümer oder Treuhänder der 1937 beschlagnahmten Werke - haben keinen Anspruch auf Rückgabe. Ebenso wenig private Sammler. Es kommt also keinem Affront gleich, dass das Neue Museum die elf Skulpturen in einer Ausstellung präsentiert.
Oder doch? Auch der Skulpturenfund verweist auf die Moral und die Praxis, wie wir mit dem Raub und dem Unrecht der Nazis umzugehen haben. Seit der sogenannten Washingtoner Erklärung vor zehn Jahren gilt: Was anderen Museen, Erben, Rechtsnachfolgern gehört, wird restituiert. Berlin hat sich diesem Weg bisher angeschlossen. Das hat der Stadt viel Respekt eingebracht. Es wäre fatal, den "Bodenfund" da herauszudestillieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!