Kommentar zum Klimastreik: Das Jahr von Fridays for Future

Die Kids haben 2019 ihre Klimapolitik zwar nicht bekommen, aber in den Bereich von Mehrheitsfähigkeit gebracht. Und jetzt?

Bild: dpa

von Peter Unfried

Vor ziemlich genau einem Jahr ging Luisa Neubauer in Kattowitz nach einer mäßig besuchten Veranstaltung in einem kleinen Nebenkabuff der Klimakonferenz nach vorn zur Referentin. Das war Greta Thunberg. Der Rest ist nicht Geschichte, sondern Gegenwart und hat das Jahr gesellschaftspolitisch geprägt.

Neubauer, 23, ging nach Hause, initiierte den Klimastreik in Berlin, andere Twens und Teenager  taten es anderenorts und – bumm! - 2019 wurde das Jahr von Fridays for Future. Und damit das Jahr, das ernsthafte Klimapolitik gegen die Erderhitzung und ihre Folgen in den Bereich des gesellschaftlich Gewünschten gebracht hat, um das mal angemessen vorsichtig zu formulieren. Es war auch das Jahr, in dem Leuten klar wurde, dass die soziale Frage eine sozialökologische ist und es auch einen Verteilungskonflikt zwischen Alt und Jung gibt, weil wir Wohlstand der Zukunft bereits in der Gegenwart verprassen, so dass es ihn in der Zukunft nicht mehr geben wird – stattdessen aber die sich täglich vergrößernden Schäden.

An diesem Freitag waren weltweit wieder ziemlich viele Menschen im Klimastreik, weil zwar das gesellschaftliche Bewusstsein sich verändert hat, nicht aber die Politik. Das EU-Parlament beschließt den „Klimanotstand“, aber nichts, um ihn zu beheben. Die Klimapolitik der derzeitigen Bundesregierung ist apathisch und reicht nicht annähernd, den Vertrag von Paris einzuhalten. „Es ist fast schon zu spät“, stand auf einem Plakat am Brandenburger Tor in Berlin. Das ist keine Panikmache oder Hysterie, das ist angesichts der physikalischen Realität eine nüchterne Bestandsaufname.

Zahnspangen im Sonnenlicht

Ein schöner Kontrast zu der schwierigen Lage ist immer die Partystimmung bei solchen Großveranstaltungen. Diesmal gab es in Berlin ein sehr diverses Lineup, das von Seeed („mit drei E“) bis Gewerkschaftsfunktionär Reiner Hoffmann („Viel Erfolg. Packen wir's an!“) reichte. Und der Claim „Wer nicht hüpft, der ist für Kohle“ hat in seiner Dadalogik das Zeug zu einem Karnevalshit. Jedenfalls allemal besser als eine Büttenrede von Annegret Kramp-Karrenbauer. 12 Uhr mittags klarte es sogar auf und dann leuchteten wieder Tausende Zahnspangen im Sonnenlicht.

Die Frage ist jetzt nicht, ob Fridays for Future im Winter weniger Streikende auf die Straßen bringen oder ob eine Versammlung im Berliner Olympiastadion genial ist oder eine Schnapsidee; die Frage ist, ob der Einbau von Klimapolitik in den Wertekanon des gesellschaftlichen Mainstreams nachhaltig und mehrheitsfähig wird. Und damit auch auf konkrete Realpolitik zielenden Aktivismus schnell erfolgreich macht, etwa die Initiative German Zero, die die Bundesregierung zu einem 1,5 Grad-Gesetz zwingen will.

Omi und Opi auf dem Sofa in der Kleinstadt sind jetzt auch der Meinung, dass schleunigst etwas passieren muss. Klar: Nicht alle, aber manche. Großartig. Nun wird es darum gehen, ob es mehr werden oder wieder weniger. Es könnte die Strategie von CDU, CSU und SPD sein, Omi und Opi zu sagen, dass man selbstverständlich was tut, keine Sorge, es aber noch ganz andere Dinge gibt, vor denen sie wirklich Angst haben sollten. Da braucht es auch Qualitätsmedien, Qualitätstwitterer, Qualitätspartytalker und vor allem Qualitätsenkel, die nicht sofort eine andere Sau durch Dorf treiben, sobald ihnen jemand eine anbietet. Sondern dranbleiben.

Ansonsten gilt: Look at yourself. Jeder wird erst mal schauen müssen, dass er selbst nicht larmoyant wird, fatalistisch, zynisch, Umerzieher, Revolutionsfantast oder sich einfach wieder ablenken lässt.

Es geht darum, die klare Priorität für Klimapolitik zu behalten. Das betrifft nicht nur die Leute von Fridays for Future, von denen viele am Ende eines intensiven und harten Jahres ziemlich durch sein müssen.

Es betrifft alle. Weil die Klimakrise alle betrifft.

PETER UNFRIED ist Chefredakteur von taz FUTURZWEi.

.
.