Kommentar zum Klimastreik: Die entscheidende Veränderung

Peter Unfried war auf der großen Demo und schildert seine Eindrücke von Fridays for Future und dem Streik für Klimapolitik.

Bild: dpa

von Peter Unfried

Dieser 20. September 2019 könnte ein prägender kultureller Moment der Unter-Dreißigjährigen in Deutschland werden. Oder sagen wir, zumindest eines relevanten Teils dieser jungen Leute, die ich bewusst nicht „Generation“ nennen will. Klar, man muss mit großen Worten vorsichtig sein. Immer und speziell in Zeiten komplizierter Handlungsmöglichkeiten. Und eine Demo ist nur eine Demo, ein Streik ist nur ein Streik, selbst wenn allein in Berlin 270.000 Bürger anhotten.

Aber trotzdem muss heute mal gesagt sein, dass es gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, was die jungen Frauen und Männer von und mit Fridays for Future bisher geschafft haben und wie sie eine ernsthafte Nachfrage von Klimapolitik in immer mehr Teile der Gesellschaft tragen.

Das rationale Wissen um die katastrophalen Auswirkungen der Erderhitzung war überhaupt nicht mit Handlungsbereitschaft verknüpft, nicht in der Gesellschaft, nicht bei den Umweltverbänden und entsprechend nicht in der Bundesregierung, deren koalierende Parteien weitgehend mit sich selbst beschäftigt sind und wenn nicht in den letzten 15 Jahren, dann jedenfalls nicht mit sozialökologischer Reformpolitik.

Systemlogik verändern

Nun hat sich das noch nicht wirklich geändert. Es hat etwas hochgradig Absurdes, wenn eine Regierung ein Menschheitsproblem angehen will, indem sie eine Nachtschicht einlegt. Andererseits ist es im politischen System nun mal so, dass man offenbar gar nichts voranbringt, wenn man keine solche Deadline hat. Es hat auch etwas Absurdes, wenn die Leute, die sich für progressiv halten und sich selbst am Brandenburger Tor feiern, ihr Tagesgeschäft so organisieren, dass trotzdem das Business „normal“ und as usual weiterlaufen kann. Sie handeln in ihrem System durchaus logisch.

Nur geht es eben genau darum, diese Systemlogik zu verändern und das heißt, dass man „den Betriebablauf stören“ und unterbrechen muss, wie tazFUTURZWEI-Herausgeber Harald Welzer sagt. Auch den eigenen. Beide – Politik und Gesellschaft – denken also weiterhin, man könnte die Klimakrise als zusätzlichen und reingequetschten Termin noch schnell erledigen, zwischen 12 und 14 Uhr oder mit einer Nachtschicht.

Und trotzdem hat sich etwas Großes verändert. Bei allem richtigen Insistieren auf die Wissenschaft haben Fridays for Future die fehlende Dimension in die Klimapolitik gebracht. Es ist nicht die Moral, die am Brandenburger Tor auch ausgegossen wurde mit den üblichen Satzfetzen „Menschlichkeit“, „neoliberale Ausbeutung“, blablabla. So schnell kannst du gar nicht schauen, wie das hehrste Wort verhallt. 

Emotionalität

Das Neue, das Entscheidende, ist das Zahnspangen-Gefühl. Greta Thunberg, Luisa Neubauer und jedes charmant picklige Gesicht am Pariser Platz und anderswo bringen die Emotionalität in die Welt, die für die Entwicklung von ernsthafter Klimapolitik bisher gefehlt hat. Weil die leeren Phrasen von der „Welt unserer Kinder und Kindeskinder“ nicht mehr leer sind, sondern jetzt so viele Gesichter haben.

„Die Erde ist bald heißer als ich“, hatte eine junge Frau aufs Schild geschrieben. Das will ich nicht beurteilen, aber das Berührende daran, könnte der Missing Link sein, um den forever unerwachsen bleiben wollenden Alten (also uns) zu helfen, real den Arsch doch noch hochzukriegen und im ersten Schritt sozialökologische Zukunftspolitik nicht nur zuzulassen, sondern aktiv zu verlangen und zu wählen.

Diese neue Emotionalität gibt es aber auch in der negativen Form und wir werden erleben, dass die AfD und andere populistische Parteien in Europa Klimapolitik zu Identitätspolitik machen und versuchen, damit Gesellschaft richtig zu polarisieren.

Aber im Schlafwagen ist eine gute Zukunft nicht zu erreichen.

PETER UNFRIED ist Chefredakteur von taz FUTURZWEi.

.
.