Kommentar zu Fukushima: Die Stufe 7
Fukushima ist offiziell der zweite "katastrophale Unfall" der Atomenergie. Aber es ist nicht Tschernobyl. Wir werden neue Bilder finden müssen für die Ruinen am Meer.
D er Reaktorunfall von Fukushima ist nun offiziell auf der obersten Stufe der amtlichen Skala angelangt. Nicht dass das irgendetwas für die Menschen vor Ort wie auch an der Verseuchung des Pazifiks ändern würde, aber es ist von hoher Symbolkraft. Immerhin wurde die Einteilung von Stör- und Unfällen nach der Katastrophe von Tschernobyl eigens geschaffen, um die Einzigartigkeit der Explosion von Tschernobyl herauszustellen. Nun ist Fukushima also offiziell der zweite "katastrophale Unfall" in der Geschichte der Atomenergie - kein Ereignis, Störfall oder schwerer Unfall, wie andere Stufen der sogenannten Ines-Skala heißen.
Von Stufe zu Stufe vergrößert sich der potenzielle Schaden durch einen Reaktorunfall um das Zehnfache. Das ist nicht nur bürokratisches Schubladendenken, dahinter stecken Schicksale, Milliardensummen und geschädigte Ökosysteme.
Wie Fukushima auf die Gesellschaft wirkt, ist noch unklar. Es ist eine schleichende Katastrophe, mit ein paar Explosionen am Anfang, aber nicht mit der Dramatik von Tschernobyl. Kein Blockgegensatz Sowjetunion/westliche Industrieländer, keine hochschnellenden Strahlenwerte in Europa. Es dampft täglich etwas ab, es läuft täglich etwas aus, es werden täglich ein paar hundert Arbeiter verstrahlt. Ab und zu dreht der Wind vom Meer aufs Land, aber Tokio oder gar die japanische Hauptinsel könnte man notfalls ohnehin nicht evakuieren wie ein paar kleinere Städte in der Ukraine und Weißrussland. Die vielen Millionen Menschen in der Region sind gefangen.
Außerdem sitzt in der gefährdeten Region ein guter Teil der Wertschöpfungskette der Weltwirtschaft, es sind wichtige Glieder in der Produktionskette. Der Wiederaufbau der Fabriken und Logistikketten nach dem Beben ist schwierig genug. Wenn austretende Strahlung die Reparaturarbeiten weiter verzögert, wird das Auswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft haben. Auch hier werden wir viel lernen müssen in den kommenden Monaten: wer mit wem verknüpft ist, wo überall der Ausfall einer großen Industrieregion zu Produktionsschwierigkeiten führt.
Fukushima ist also nicht Tschernobyl. Wir werden neue Bilder finden müssen für die Ruinen am Meer. Wir haben dafür noch viele Monate Zeit, denn so lange dauert es, bis die Reaktoren und die Abklingbecken abgedichtet sind. Wenn wir Glück haben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören