piwik no script img

Kommentar zu Bürgerengagement.Ein lobenswerter Notnagel

Wenn Bürger mit ehrenamtlicher Arbeit etwas auf die Beine stellen, ist das wunderbar. Wenn aber Politiker auf ehrenamtliches Engagement setzen, muss man hellhörig werden.

So wünscht man sich das: Engagierte Bürger protestieren gegen die Schließung einer Bibliothek in Prenzlauer Berg. Und weil der Bezirk sich dennoch nicht in der Lage sieht, das Personal weiterzufinanzieren, übernehmen die Anwohner kurzerhand den Laden. Das ist ein äußerst lobenswertes Beispiel für die vielfach gewünschte ehrenamtliche Arbeit. Und doch nur ein Notnagel.

Denn im Prinzip hat ehrenamtliche Arbeit einen ähnlichen Effekt wie der Zivildienst oder die 1-Euro-Jobs der Hartz-IV-Empfänger. Auch die sollen, so wird stets betont, keinesfalls Jobs im sozialen Bereich ersetzen, sondern allenfalls unterstützen.

Doch die Realität sieht anders aus. Ohne Zivildienst, das wird heutzutage niemand mehr bestreiten, wäre eine adäquate Versorgung von Behinderten, Kranken und Alten nicht mehr vorstellbar. Bei den 1-Euro-Jobs sind längst ähnliche Entwicklungen absehbar. Wenn Hartz-IV-Empfänger etwa zur Pflege städtischer Grünflächen eingesetzt werden, die zuvor von Bezirksmitarbeitern erledigt wurde, wird klar, dass die Idealvorstellung eine Chimäre ist.

Deshalb ist auch die ehrenamtliche Arbeit keineswegs ein problemloses Allheilmittel. Wenn Bürger damit etwas auf die Beine stellen, was es zuvor nicht gab, dann ist sie wunderbar. Wenn sie wie bei der Bibliothek in Prenzlauer Berg etwas ersetzt, was der Staat nicht mehr finanziert, weil angeblich die Mittel fehlen, mag man das gerade noch akzeptieren. Spätestens aber dann, wenn Politiker auf ehrenamtliches Engagement setzen, muss man hellhörig werden.

Denn deren Aufgabe ist es, das Gemeinwohl aus Steuermitteln herzustellen. Wenn die Politik zusätzlich freiwillige Dienste einfordert, ist das nicht anderes als eine Bankrotterklärung.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!