Kommentar von Stefan Reineckeüber Schulz und Scholz: SPD auf Sinnsuche
Wer in Deutschland 45 Jahre lang für den derzeitigen Mindestlohn arbeitet, bekommt im Alter nicht mehr als die staatliche Grundsicherung. Das illustriert nicht nur drastisch, wie sich die Senkungen des Rentenniveaus der letzten Jahre auswirken – es ist auch ungerecht. Denn wer lange schuftet, bekommt mit 67 Jahren somit genauso wenig wie jemand, der ein Leben lang keinen Cent in die Rentenkasse eingezahlt hat.
SPD-Mann Olaf Scholz fordert nun, dass der Mindestlohn auf 12 Euro steigen muss. Das ist eine richtige und für die SPD, die sich als Partei der Arbeit versteht, eigentlich eine selbstverständliche Forderung. Begreift die SPD also endlich, dass sie, wie es der Historiker Tony Judt formulierte, die Ängste der Unter- und Mittelschicht ernst nehmen muss?
Eher nicht. Auch bei richtigen Ideen zählt in der Politik das Wer, Wann und Warum. Der Zeitpunkt stimmt doppelt skeptisch; im Wahlkampf traute sich die SPD keine griffige sozialpolitische Idee zu.
Dass Scholz die Mindestlohnforderung nun mit giftigen Spitzen gegen den glücklosen Parteichef Martin Schulz garniert, nährt den Verdacht, dass dies eher ein Testballon dafür ist, ob Scholz Chancen auf Schulz’ Job hat. Denn verwunderlich wirkt auch, dass Olaf Scholz, ein Anhänger ordnungsgemäßer Verwaltungsabläufe, lässig ignoriert, dass eine unabhängige Kommission die Höhe des Mindestlohns bestimmt; dafür hatte seine Genossin Andrea Nahles gesorgt.
Das Fingerhakeln zwischen Scholz und Schulz passt in das verwirrende Bild, das die SPD abgibt. Martin Schulz macht neuerdings in Kapitalismuskritik und beteuert, dass die Partei weiblicher und jünger werden muss. Gleichzeitig besetzen Parteirechte, allesamt Männer, die wenigen verbliebenen Jobs.
Recht konfus wirkt auch, wie widerstandslos die SPD in Niedersachsen nun eine Große Koalition mit der CDU eingeht. Ja, die FDP will keine Ampel und lässt somit wenig andere Möglichkeiten.
Und doch: Den überraschenden Sieg in Hannover verdankte die SPD ja auch der volltönenden Absage an die Große Koalition in Berlin. Mit diesem Drive gleich wieder in einer kommoden Großen Koalition zu landen, wirkt wie vieles in der SPD derzeit: unausgegoren und wankelmütig.
Martin Schulz will die Partei nun nach außen öffnen, die Basis soll mehr zu sagen haben. Das klingt gut, aber auch sehr bekannt. Die Parteireform ist seit dreißig Jahren der typische Reflex der SPD auf Wahlniederlagen. Es wäre nicht das erste Mal, dass das groß angekündigte „Mehr Demokratie wagen“ als Intermezzo endet.
Dafür ist die Lage für die SPD dann doch zu ernst. Vielleicht ist die Generation Gabriel und Oppermann, Scholz und Schulz einfach nicht die Lösung, sondern das Problem.
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