Kommentar von Stefan Reinecke zu Steinmeier in Israel und dem Antisemitismusstreit der Linken: Feigheit vor dem Freund
Die Linkspartei hat ein Steinchen ins Wasser geworfen – und eine Empörungswelle ausgelöst. Die GenossInnen haben sich gegen die gängige IHRA-Antisemitismus-Definition gewandt. Die würde, so die nachvollziehbare Kritik, die Trennlinie zwischen der Kritik an Israel und Antisemitismus verwischen. Daher will die Linkspartei sich lieber an die „Jerusalemer Erklärung“ halten, die diese Grenze deutlicher markiert. Der Antisemitismusvorwurf wird oft benutzt, um die Kritik an der rechten Regierung in Israel in eine dubiose Ecke zu rücken. Die Linkspartei thematisiert damit zu Recht die enger werdenden Grenzen des Sagbaren.
Wenig weitsichtig wirkt die Reaktion des Zentralrats der Juden: Die Linkspartei verschweige Antisemitismus und befördere den Hass auf Israel. Das ist überzogen. Die Jerusalemer Erklärung wurde von anerkannten liberalen, teil israelischen Intellektuellen verfasst. Sie in die Ecke des Antisemitismus zu rücken, erinnert an die Strategie der israelischen Rechten. Die nutzen den Antisemitismusvorwurf als eine Art Superwaffe. Die rhetorische Eskalation um den Linkspartei-Beschluss erschwert, was wir brauchen: eine sachliche Debatte um Antisemitismus in Deutschland und die Frage, welche Kritik an Israel legitim ist – und welche nicht.
Dazu gehört auch die Frage: Welche Kritik ist nötig? Welche zu zaghaft? Frank-Walter Steinmeier lobt beim Treffen mit Israels Präsident Jitzchak Herzog Israel als rechtsstaatliche liberale Demokratie, die sich gegen den islamistischen Terror wehren müsse. Steinmeier merkt nebenbei an, dass Hilfslieferungen nach Gaza zu erlauben wünschenswert wäre. Und mahnt unverbindlich einen Waffenstillstand an. Diese eingeübte deutsche Sprechweise ist doppelt unangemessen. Im Angesichts des Schreckens des Gazakrieges reicht es nicht, pflichtschuldig in einen Halbsatz das Leid der Zivilisten zu erwähnen. Das ist, wenn man politische Moral reklamiert, einfach zu wenig. Zudem wird Steinmeier am Dienstag Benjamin Netanjahu lächelnd die Hand drücken. Dabei nebenbei die Einhaltung der Menschenrechte zu erwähnen, wird auf die rechte Regierung in Israel wenig Eindruck machen. Die reagiert, wenn überhaupt, auf Druck. Die Instrumente dafür sind bekannt: ein Stopp der Waffenlieferungen und die diplomatische Anerkennung Palästinas. Das aber ist von der deutschen Politik nicht zu erwarten.
Skandalös ist nicht, dass die Linkspartei sich diese Definition zu eigen macht. Skandalös ist eine hasenfüßige deutsche Politik, die lieber Fototermine macht, als Konsequenzen aus der Tatsache zu ziehen, dass Israel Kriegsverbrechen begeht.
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