Kommentar von Esther Geißlinger über Selbstständige: Selbst – und zwar ständig
Keine Hierarchie, keine nervigen Bürorituale, stattdessen flexible Arbeitszeiten und spannende Tätigkeiten – Selbstständigkeit kann großartig sein. Aber es gibt Schattenseiten. Niemand außer dir selbst schickt dich in den Urlaub. Ausgleich für Überstunden gibt es nicht, und wenn jemand vom Weihnachtsgeld redet, dann hör lieber nicht hin. Darüber hinaus kriegen Angestellte das Wichtigste überhaupt von ihrer Firma geschenkt. Nein, nicht Dienstwagen, sondern Lebenszeit, weil bürokratischer Mist wie die Beschaffung von Arbeitsgeräten, die Abwicklung von Steuern und die Bezahlung der Sozialabgaben geregelt wird. Wer selbstständig ist, muss sich um diese Dinge eigenverantwortlich kümmern – selbst und ständig.
Wer dies freiwillig gewählt hat und sich gut organisieren kann, dem bringt vielleicht sogar der Kampf mit dem Vorsteuerformular Spaß. Doch viele Menschen sind in die Freiberuflichkeit gedrängt worden, weil ihre Branchen sich verändert haben – Journalismus gehört dazu. Andere gründen mit falschen Erwartungen, ohne die Risiken zu überblicken. Jahr für Jahr, Monat für Monat scheitern Menschen in und an der Selbstständigkeit. Der Stopp der Wirtschaft durch die Corona-Krise hat die Lage für viele verschärft.
Angesichts der Riesensummen, die aktuell zur Wirtschaftsförderung ausgegeben werden, wären flexible Hilfen für Solo-Selbstständige ein kleiner Preis und in der jetzigen Lage gerechtfertigt. Allerdings haben Soloselbstständige seit jeher die Möglichkeit, sich freiwillig gegen Arbeits- oder Auftragslosigkeit zu versichern. Das ist nur nicht die beste aller Methoden, denn das Arbeitslosensystem ist nicht auf Selbstständige eingestellt. Sinnvoller ist es, sich – selbst und ständig – ein finanzielles Polster aufzubauen.
Massiver Handlungsbedarf besteht dagegen bei der Krankenversicherung. Wer in Flautenzeiten aus der Versicherung aussteigt, um Beiträge zu sparen, muss im Notfall leichter und ohne Schuldenlast ins System zurückkehren können. Denn die Kosten für eine Operation oder schwere Krankheit kann niemand selbst tragen.
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