Kommentar von Christian Heinisch zu Solidarität in Unternehmen: Kapitalistischer Solidarpakt
Wir sollten auch Unternehmen als organische Solidargemeinschaften begreifen. Denn die Beteiligten sind aufeinander angewiesen und verfolgen eine (temporäre) Interessen- und Ziel-Solidarität. Jede Gesellschafts- und Kapitalismuskritik muss das berücksichtigen.
Mehr noch: Je größer ein Unternehmen ist, desto mehr wird Solidarität institutionalisiert. Und zwar über „Corporate Governance“ und „Corporate Social Responsibility“, also Instrumente verantwortlicher Unternehmensführung und gesellschaftlicher Unternehmensverantwortung.
Der „Charme“ von kleinen und mittelständischen Unternehmen, die statt dieser Regelwerke das zwischenmenschliche Bauchgefühl nutzen, kann eine besonders freundschaftliche Atmosphäre erzeugen, aber auch nach hinten losgehen – etwa durch einen despotischen Chef. Instanzen, die sich in Großunternehmen um eine verantwortungsbewusste Unternehmensführung und Belange der Mitarbeitenden kümmern sollen, fehlen oft in kleineren Betrieben.
Solidarität, die auf vorgegebenen Merkmalen einer Gruppe im Betrieb basiert („wir Mechaniker*innen“, „wir Buchhalter*innen“), kreuzt sich mit der organischen Solidarität, die auf einem Aufeinander-angewiesen-Sein fußt und quer verläuft. Diese Überkreuzungen sind in kleinen und mittelständischen Betrieben potenziell konfliktbehaftet. Innerbetriebliche Hilfsbereitschaft stößt schnell auf menschliche Grenzen. Großunternehmen versuchen hier auf institutionalisierte Solidarität zurückzugreifen.
Die Bezahlverfahren, Gehaltsstufen und Tarifvertragsmodelle bergen – eingebettet in das Arbeitsrecht – mehrere Herausforderungen: Mitarbeitende derselben Lohneinstufung leisten womöglich einen unterschiedlichen Beitrag. Ausgleichsmechanismen für diese (menschlich normalen) Ungleichgewichte sind arbeitsrechtlich nur rudimentär vorhanden. Die Leistungsstärkeren werden gezwungen, „solidarisch“ Mehrleistung für die Wenigerleistenden zu erbringen.
Weitere Konfliktfelder liegen im Gegensatz von Solidarität und Konkurrenz sowie in der Solidarität im Widerstreit mit dem Individualismus. Dabei belegt Solidarität nicht per se den überlegenen Standpunkt. Konkurrenz und Wettbewerb sind Triebfedern kontinuierlicher Verbesserung der betrieblichen Abläufe und produzierten Güter und Dienstleistungen. Individualismus fördert „geniale“ Ideen. Eine ausgewogene Balance zwischen Individualismus, Konkurrenz und Solidarität ist nicht dauerhaft möglich, sondern muss immer wieder neu austariert werden. Alle Unternehmen sollten einen Nährboden für solidarisches Handeln, fördernde Konkurrenz und kreativen Individualismus schaffen.
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