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Kommentar russisch-ukrainischer KonfliktUnverhohlene Einmischung

Kommentar von Barbara Oertel

Mit der Kritik an Kiew will der Kreml ein vermeintliches Signal der Stärke an die eigenen Bevölkerung senden.

Dass die Beziehungen zwischen Moskau und Kiew seit der Wahl von Wiktor Juschtschenko zum Präsidenten der Ukraine unterkühlt sind, ist bekannt. Mit dem offenen Brief von Präsident Dmitri Medwedjew an seinen ukrainischen Amtskollegen dürften sich die Spannungen jetzt noch weiter verschärfen.

Dabei geht es bei Medwedjews Rundumschlag nur vordergründig um Streitigkeiten wegen der Schwarzmeerflotte oder Kiews Ambitionen, der Nato beizutreten. Mindestens genauso wichtig ist der Subtext der Botschaft: Die Ukraine ist nach wie vor unser originäres Einflussgebiet, wir haben in der ukrainischen Innenpolitik ein gewichtiges Wort mitzureden und wollen einen uns genehmen Präsidenten.

Barbara Oertel

ist in der Auslandsredaktion der taz für Osteuropa und den Balkan zuständig.

Schon bei den ukrainischen Präsidentschaftswahlen 2004 hatte der russische Staatspräsident Wladimir Putin Wahlkampfhelfer für den moskautreuen Kandidaten Wiktor Janukowitsch gespielt. Dessen Niederlage bei den Neuwahlen nach der orangenen Revolution war ein herber Rückschlag für Moskau. Diesmal stehen Russlands Chancen besser. Die Ukraine steckt in einer politischen Dauerkrise und Juschtschenko hat mit vier Prozent Zustimmung kaum Chancen, als Sieger aus den Wahlen im kommenden Januar hervorzugehen.

Der unverhohlen formulierte außenpolitische Machtanspruch Russlands hat aber noch ein anderes Ziel: Er ist ein vermeintliches Signal der Stärke an die eigene Bevölkerung und soll von innenpolitischen Problemen, wie der wachsenden Gewalt im Kaukasus oder sozialen Verwerfungen infolge der Wirtschaftskrise, ablenken. Bei der eigenen Bevölkerung könnte das klappen. Die anderen ehemaligen Sowjetrepubliken dürften sich ob dieser Politik mittelfristig aber weiter von Moskau entfernen.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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5 Kommentare

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  • AR
    A. Remstedt

    Es ist doch für eine progressive, emanzipatorische Einstellung vollkommen unerheblich, was "der Westen" oder Rußland wollen.

    Zu vertreten ist einzig und allein das Selbstbestimmungsrecht der Völker.

  • A
    Anderl

    Naja, der 'Westen' fordert 'Regimewechsel' überall auf der Welt, wo es Regierungen gibt, die ihm nicht passen. Dafür führt der 'Westen' auch Krieg: Früher in südamerikanischen Ländern, Vietnam usw, aktuell Irak, Afghanistan, evtl. Iran usw.

    Der 'Westen' sollte vielleicht generell seine Politik gegenüber Rußland überdenken, Rußland als wirklich gleichwertigen Partner anerkennen und seine militärische Einkreisungspolitik gegenüber diesem Lande beenden. Dann ist vieles möglich, von dem es heute nur heißt: 'das böse Rußland' hindert.

    Der 'Westen' hat aus einer ungeheuren Arroganz heraus die Möglichkeiten nicht genutzt, die sich gemeinsam mit der Sowjetunion unter Gorbatschov, bzw. im Anschluß daran mit Rußland, geboten haben. Statt Gleichberechtigung von Rußland setzte der 'Westen' auf Dominanz.

    Und bezeichnet jetzt in einem Anfall von Größenwahn zB Georgien als "unmittelbare Nachbarschaft" (zur EU) oder den Südkaukasus als "unsere Interessensphäre" (die USA). Rußland wird dabei lediglich die Rolle als Störenfried zugeschrieben wenn es ebenfalls eigene Interessen vertritt.

  • M
    Molodjez

    @ Berthold:

     

    Ihr Nebensatz: "(...)um sich überall im ehemals sowjetischen Osten einzunisten." verrät, weß Geistes Kind Sie sind, leugnen sie damit doch eins der zentralsten Menschrechte: jenes von der Selbstbestimmung der Völker.

     

    Denn: Estland, Lettland, Litauen, Weißrußland, die Ukraine und Georgen sind durchaus selbständige Nationen und souveräne Staaten, die sich aus freien Stücken (und, wie ich meine, verständlicherweise) für ihre Einbindung in die westliche Welt und gegen ein Verbleiben im Einflußbereich Russlands entschieden haben.

     

    Leider ist ihre Sicht der Dinge in Deutschland sehr verbreitet; weiß der Teufel, warum.

    Womöglich ist es eine Mischung aus Sowjet-Nostalgie und Übertragungsleistung im Sinne Freuds: Das, was Deutschland mal war (ein wunderbarer, alter, mythischer Volkskörper, der lieber im Umland auf Jagd nach Lebensraum geht, als sich an menschenrechtliche Abmachungen zu halten), steckt immer noch in manchen Deutschen Köpfen drin und wird einfach auf Rußland übertragen. Nur so eine Idee....

  • G
    gregor

    Eigentlich ist Juschetschenko das Beste für Russland momentan. Solange die beiden Länder ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben, gibt es keinen Grund für die Wiedervereinigung. Wenn man den antirussischen Ton dafür braucht, dann bitte. Medwedew hilft Juschtschenko wieder gewählt zu werden. Das ist eine Art Dialektik. Es reicht nicht zu sagen, dass die Orangenen Gaukler sind. Man muss es sehen und erleben. Darum ist auch der TAZ-Kommentar so formal. Nichts als Pflichtübung über die russischen imperialen Ambitionen. Doch eigentlich, will man gerne zusammen mit Medwedew dem ukrainischen Präsidenten das Gleiche sagen - Du bist doof.

  • B
    Berthold

    Als der Wodkawirtschaftsfachmann Boris Jelzin in Russland regierte, nutzte dies der Westen aus, um sich überall im ehemals sowjetischen Osten einzunisten. Muss sich Russland so was bieten lassen? Würden sich die USA etwas Entsprechendes bieten lassen? Dort dürfte bezüglich Mittel- und Südamerika die Monroe-Doktrin noch immer gelten, trotz Obama. Der Militärputsch in Honduras könnte ein Beleg dafür sein.