piwik no script img

Kommentar neues WahlrechtEin Fall für Karlsruhe

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Wir werden bei der nächsten Wahl auf der Grundlage eines umstrittenen Wahlgesetzes wählen. Es liegt nahe, sich vom BGH eine Lösung zu erhoffen.

H urra, wir haben ein neues Wahlgesetz! Hurra? Zwar hat der Bundestag ein neues Wahlrecht beschlossen, aber nicht einstimmig, sondern mit knapper Mehrheit. Für die Akzeptanz ist das nicht gut.

Richtig schlecht ist für die Akzeptanz, dass SPD und Grüne bereits eine Verfassungsklage gegen das neue Wahlgesetz angekündigt haben. Karlsruhe wird darüber kaum vor der nächsten Bundestagswahl entscheiden. Wir werden bei der nächsten Wahl also auf der Grundlage eines umstrittenen Wahlgesetzes wählen und können nur hoffen, dass das Ergebnis so eindeutig ist, dass es auf die strittigen Punkte nicht ankommt.

Eigentliche Aufgabe des Bundestags war die Beseitigung des negativen Stimmgewichts. Der Wähler soll seiner Partei nicht schaden, wenn er sie wählt. Die Koalition sagt, der von Karlsruhe gerügte Effekt sei beseitigt. Wahlrechtsexperten sagen, er sei an anderer Stelle neu aufgetaucht. Hier sollte Karlsruhe das vorgelegte Ergebnis akzeptieren. Denn unser Wahlrecht ist so kompliziert, dass eine perfekte Lösung unmöglich ist.

Bild: taz

CHRISTIAN RATH ist rechtspolitischer Korrespondent der taz.

Hauptstreitpunkt waren im Bundestag jedoch die Überhangmandate. Sie können dazu führen, dass eine Koalition regiert, die weniger Stimmen erhalten hat als die Parteien der Opposition. Die Überhangmandate sollten deshalb abgeschafft oder ausgeglichen werden. Wenn der Bundestag dazu nicht in der Lage ist, liegt es nahe, vom Bundesverfassungsgericht eine Lösung zu erhoffen.

Die obersten Demokratie-Schiedsrichter haben auch etwas gutzumachen. Als sie 1997 zuletzt über die Überhangmandate urteilten, gab es ein Patt mit vier zu vier Richterstimmen. Dabei votierten die Richter exakt entlang der parteipolitischen Linien, ein Tiefpunkt der Karlsruher Rechtsprechung. So etwas wird es unter dem aktuellen Präsidenten Andreas Voßkuhle, einem großen Konsenskünstler, sicher nicht geben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • H
    Hasso

    Mir selbst kann das Wahlgesetz gestohlen bleiben. Denn man wählt doch stets die gleichen "Betonköpfe". Diese Betonköpfe sind mehrend mit auswärtigen Interessen beschäftigt und der deutsche Sozialstaat wird zunehmend vernachlässigt und dazu wird noch ohne jedwede Skrupel Machtmissbrauch gegenüber den Sozialschwachen betrieben. Wenn nur noch Politik- ohne Moral und nur noch nach Kassenlage-betrieben wird,(von allen) wäre ich ein Idiot, würde ich so einen verkommenen Haufen noch wählen. Früher hieß es, wer nicht wählt, wählt die, die er nicht haben will. Jetzt aber, wo das Kapital die Politik bestimmt, wird die Volksvertretung überflüssig. Wahlen sind nur noch Scheinwahlen. Denn man hat keine Wahl mehr.

  • DR
    Dr. rer. Nat. Harald Wenk

    Mit dem: da unser Wahlrecht nicht ganz gerecht sein verhälzt es sich folgendermassen:

     

    ES LASSEN SICH DANN NOCH EXTREME SPEZIALFÄLLE KOSNTRUEIEREN, BEI DENEN EVENTEUELL 1, NUR 1, MANDAT NICHT GANZ GERECHT VETRETILT WIRD.

    SO IST DAS MIT DER OPTIMALITÄT IN DER WAHLAMTHEMATIK.

     

    SO GRAVIEREND VIELE ÜBERAHNGMANDATET WIE ZUR ZEIT MUSS ES DA NICHT GEBEN. DAHER SOLLTE ES IN DER TAT SCHNELL VOM TISCH, DAS AKTUELL WAHLRECHT, WEIL DIE CDU UND DIE SPD GANZ MASSIV DAVON PROFITIEREN.

     

    Unser Verhältniswahlrecht ist vergleichweise riesig demokratisch. In andern Ländern, wo die Direktmandat

    viel entscheidender als hier sind, sind mit solchen Wahlrecht jahrzehntelange konservative Mehrheiten betoniert worden. Also. Die Verhältniswahl muss so viel wie möglich durchkommen.

     

    Die grünen Parteien in solchen Ländern (USA; Frankreich, Groosbriatnnnien,...) sind fast alle damit "abgekillt", marginalisiert worden.

  • G
    gerd.

    Damit dürften die PIRATEN wohl um den nächsten Prozentpunkt zulegen. Die Relevanz derer Themen wird mal wieder sehr deutlich.

  • WG
    wahl gesetze

    Die Idee mit Direkt-Mandaten + Anteilig die Partei-Anteile finde ich deutlich besser als reine Listen wie im Parteistaat und reine Mehrheitswahl (England, USA, deutsche Bürgermeister die mit 11% regieren dürfen weil Stichwahlen abgeschafft wurden und alle anderen maximal 10% bekommen).

     

    Das kann man problemlos sehr sauber aufsetzen. Bruch-Rechnung reicht und jeder Grundschüler kann das Wahlrecht aufsagen und die Wahl rechnerisch durchziehen.

    Wichtig wären also in der Data-Journalistischen Darstellung Beispiele, die sogar der Presse-Gegner "klauen" muss (weil er selber zu retroid war) um den Sachverhalt zu verdeutlichen und Merkel und Rösler durchgängig offen zu ächten.

    Denn keiner will, das seine Partei verliert. Und damit sind alle dagegen ! Wenn man es schafft, einen nachvollziehbaren Widerspruch zu konstruieren der alle auf die Straßen treibt.

    Der Unterschied zwischen guten Profs und schlechten (Zwangs-Vorlesungs-Haltern aka Wissenschaftlichen Mitarbeitern) Dozenten war, das die guten Dozenten einfache Beispiele und Rechnungen ohne 10 Nachkommastellen und fast nur ganzen Zahlen hatten.

    "Den Stoff habe ich seit 30 Jahren drauf. Ich schaue nur täglich in der Zeitung ob ich Beispiele finde, um ihnen die Sachverhalte und die bei Ihnen unbeliebten Ablaufketten besser zu verdeutlichen." (VWL-Prof nachdem er die Auswirkungen und Ping-Pong-Effekt-Ketten von Dürre auf Hühner-Preise und Kuhfleisch-Preise und andere Preise aus der Zeitung vorgelesen hatte. Dieselbe Aufgabe hat die Presse. Politiker wie Grüne reden meist nur für ihre eigene Insider-Peer-Group statt alle Bürger anzusprechen.

     

    Wahl=Data=Data-Journalism.

    Der Aufruf an die Genossen wäre also: Findet ein geeignetes Beispiel das dem Erfinder dieses Gesetzes das Diplom wegnimmt weil sich die Profs und seine Heimat-Uni für solch ein armseliges Fehlergesetz schämen.

    Wenn es offene Diskussions-Systeme gäbe, würden auf Twitter schon die Links auf die Gegenbeispiele verlinkt werden. Denn Crowds rule some Tasks.

    Leider müssen wir auf einen Blogger warten der dann Hartz4 und Privatinsolvenz anmelden kann, weil er dafür nur noch ewig schikaniert wird wenn er nicht sowieso zu einer parteiischen Organisation gehört.

    Warum beliefern die Gegner die Presse nicht mit einem eindeutigen Beispiel das das Wahlgesetz als fehlerhaft outet und wie ein Schwein durchs Dorf treibt bis alle Politiker bei den 5 wöchentlichen Talkshows ein neues Gesetz bis 31. März schwören ? Weil es keine angstfreien Diskussions-Plattformen gibt und Piraten sowas auch nicht haben. Oder weil es kein Beispiel gibt und das nur die übliche Kindergarten-Kritik der Opposition ist. Rotgrün war auch nicht besser.

     

    Wenn es kein gutes Beispiel gibt, ist das Gesetz vielleicht doch besser als die bösen Gegner es diffamieren wollen. Also liefert ein genialisch einfaches jeden überzeugendes Beipiel oder seid weiter nur Schlechtredner wie viele bezahlte Foren-Poster es sind.

    Den Postern die das Versagen vom LTE-Ausbau prophezeiten, wurde ja auch nicht geglaubt. Jetzt ist deren Prophezeiung offensichtlich. Sowas nennt man Data-Journalism.

  • M
    Mirko

    "Denn unser Wahlrecht ist so kompliziert, dass eine perfekte Lösung unmöglich ist."

     

    Das sollte wohl eher praktisch heissen.

     

    Das ist natürlich Absicht, ansonsten verlieren die Parteien bei einem praktischen, einfachen, und klar überschaubaren Wahlrecht ihre Macht.

     

    Wäre ja noch schöner, wenn der Bürger kontrollieren könnte, wen und vor allem WIE er da wen wählt.

  • A
    atypixx

    "Dabei votierten die Richter exakt entlang der parteipolitischen Linien, ein Tiefpunkt der Karlsruher Rechtsprechung."

     

    Danke für die interessante Information, das war mir gar nicht bekannt!

  • JM
    Jules Mari

    Enttäuschend. Statt diese Gelegenheit zu nutzen um ein wirklich neues, zeitgemässes Wahlsystem umzusetzen, dass dem Bürger mehr Einfluss gibt, wurstelt man nur wieder im Klein-Klein und zementiert die bisherigen Ungerechtigkeiten und Pfründe (Parteienmacht).

    Mehr Demokratie wagen? Pustekuchen.

  • WW
    W. Wacker

    Rot-Grün klagen lautstark.

     

    Dabei blenden sie aus, dass früher auch die SPD von Überhangmandaten profitiert hat. Auch auf die Frage, warum sie denn zu Zeiten der Rot-Grünen Bundesregierung das Gesetz nicht geändert haben, gibt es keine Antwort.

     

    Machtpolitik halt, jenseits von Moral.

  • FS
    Felix Siegbrecht

    Wieso steht da BGH?

  • MO
    Mark Obrembalski

    "Es liegt nahe, sich vom BGH eine Lösung zu erhoffen", heißt es in der Unterüberschrift. Nein, das liegt nicht nahe, denn der Bundesgerichtshof ist für den Streit um ein umstrittenes Wahlgesetz ganz gewiss nicht zuständig. Auch wenn er wie das zuständige BVerfG in Karlsruhe sitzt.

  • E
    egal

    "Wir werden bei der nächsten Wahl auf der Grundlage eines umstrittenen Wahlgesetzes wählen. Es liegt nahe, sich vom BGH eine Lösung zu erhoffen. von CHRISTIAN RATH"

     

    Hoffentlich nur ein Schreibfehler ;)

  • A
    Abc

    Vom BGH? Sicher nicht.