Kommentar Ypsilanti: Vier Hessen für ein Halleluja
Nach dem politischen Super-GAU sollte Ypsilanti zurücktreten - wichtig ist jetzt ein Neuanfang.
Immerhin haben der hessische SPD-Abweichler Jürgen Walter und seine drei Mitstreiterinnen aus der Landtagsfraktion nicht bis Dienstag gewartet, um ihre Partei- und Fraktionschefin Andrea Ypsilanti klammheimlich zu meucheln. Sie hätten sie bei ihrem Versuch, Roland Koch abzulösen und sich zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen, einfach auflaufen lassen können. So haben sie wenigstens allerhand Dolchstoßlegenden vorgebeugt.
Das Desaster der hessischen SPD könnte dennoch nicht größer sein. Von ihrer Führung um Ypsilanti und Generalsekretär Norbert Schmitt, die wie in Trance agierten, alle Warnungen vor einem Scheitern in den Wind schlugen und alle Vorzeichen ignorierten, hat sich jetzt eine Art rechter USPD losgesagt. Das ist letztlich das Resultat der politischen Instinkt- und Rücksichtslosigkeit, mit der sich die Parteiführung über alle Widerstände hinwegsetzen wollte. Auf Desinteresse stießen Umfragen, die ergaben, dass rund 70 Prozent der befragten Hessen das linke Regierungsbündnis ablehnten und den "Wortbruch" scharf verurteilten.
Dass sich bei den Koalitionsverhandlungen dann auch noch die Grünen weitgehend durchsetzen konnten und sich der Flughafenausbau, der Arbeitsplätze verspricht, verzögern sollte, verstärkte den Unmut. Und dass der Anführer des konservativen Parteiflügels, Jürgen Walter, mit Almosen abgespeist werden sollte, brachte dann das Fass zum Überlaufen. Walter lehnte ab - und sich gegen seine Chefin auf.
Roland Koch, der Mann mit den sieben Leben, darf jetzt triumphieren. "Koch muss weg!" war der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich das Linksbündnis einigen konnte. Doch das hat nicht gereicht. Mehr Dilettantismus in der Politik war nie.
Jetzt sollten Ypsilanti und ihr Generalsekretär Norbert Schmitt die Verantwortung für diesen politischen GAU übernehmen - und zurücktreten. So viel Anstand muss sein. Ein Neuanfang, der am sinnvollsten mit Neuwahlen verbunden wäre, ist das Gebot der Stunde. Mit einer Landesregierung unter Führung der SPD wird die nächsten zwei Legislaturperioden - also die nächsten zehn Jahre - wohl nicht mehr zu rechnen sein. Den Grünen sollte das zu denken geben.
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