Kommentar Wahlsieg für Morales: Boliviens Macht von unten
Von einer eigenen parlamentarischen Zwei-Drittel-Mehrheit, die transparent und ohne Boykott der Opposition erstritten wurde, können Lula und Chavez nur träumen.
Evo Morales und seine "Bewegung zum Sozialismus" haben erneut einen imponierenden Wahlsieg eingefahren. Dem Indígena aus dem Andenhochland ist es gelungen, die arme Bevölkerungsmehrheit in einem nie gekannten Ausmaß um sich und sein Projekt zu scharen. Zu verdanken hat er dies seinem eigenem Geschick, aber vor allem der aktiven Rolle der Basisbewegungen, aus denen er selbst hervorgegangen ist.
Charismatische Führungsfiguren gibt es in Südamerika heute eine ganze Reihe: Brasiliens Lula oder der Venezolaner Chávez sind nur die prominentesten. Doch von einer parlamentarischen Zweidrittelmehrheit wie die von Morales, die transparent und ohne Boykott der Opposition erstritten wurde, können sie nur träumen.
Gerhard Dilger ist Lateinamerika-Korrespondent der taz. Er lebt und arbeitet in Porto Alegre, Brasilien.
Der Ecuadorianer Rafael Correa beschimpft Aktivisten der sozialen Bewegungen als unvernünftige Extremisten, Lula kooptiert sie und regiert zugleich mit Teilen der Rechten. Morales hingegen nimmt die Basis ernst - gemäß der für Deutsche pathetisch klingenden Parole der Zapatistas: "Regieren und dabei dem Volk dienen."
Das zahlt sich aus: Zum jetzigen Wahltriumph wäre es gar nicht gekommen, hätten sich Morales und seine Basis auseinanderdividieren lassen, als die harte Rechte zum Sturz des Präsidenten entschlossen war. Ein ökosozialer Entwicklungsweg, der an indigenes Gedankengut anknüpft, zeigt sich hingegen erst in Ansätzen.
Natürlich gehören auch Verbündete aus der urbanen Mittelschicht oder unter den Militärs zum Machtsystem Evo. Dennoch: Partizipation und auch Pressevielfalt sind in Bolivien ausgeprägter als anderswo, die Polarisierung nimmt ab. Gute Voraussetzungen für die "Neugründung" des Landes, wie Morales den angestrebten demokratischen Systemwechsel nennt.
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