Kommentar Vergangenheitsbewältigung: Abwiegeln und aussitzen
Die Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen räumt keine Stellung freiwillig. Nicht einmal als auffällt, dass ihr Namenspatron für einen Preis nicht nur Opfer der Stasi, sonder auch Täter der NSDAP war.
Zu welchem Zweck erinnert man sich 2007 an die Verbrechen totalitärer Regime im letzten Jahrhundert? Um sich zu vergewissern, wie fundamental wichtig Rechtsstaatlichkeit ist und welche Schrecken drohen, wenn Gewaltenteilung und Demokratie abgeschafft werden. Sollte man meinen.
Man kann Erinnerungspolitik aber auch als Waffe nutzen, als Instrument, um die pauschale Rede von den "zwei deutschen Diktaturen" durchzusetzen und die Konkurrenz zwischen NS-Opfern und jenen des DDR-Regimes immer wieder aufzuführen. Dieses Projekt verfolgt offenbar die Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen, angeleitet von dessen Direktor, Hubertus Knabe. Der Förderverein der Gedenkstätte will einen Preis nach Walter Linse benennen, der 1953 von Stasi und KGB entführt und ermordet wurde. Doch hatte man übersehen, dass Linse in der NS-Zeit an Arisierungen beteiligt war. Anstatt diese Peinlichkeit entschlossen wiedergutzumachen, begab man sich schlecht gelaunt auf einen zögerlichen Rückzug. Anfang August rang sich der Förderverein die Erklärung ab, dass ein NS-Täter zwar als antikommunistisches Vorbild untauglich sei, man aber noch zu wenig über Linse wisse, und legte die Sache auf Eis.
Nun liegt eine historische Expertise mit eindeutigem Ergebnis vor: Linse war NSDAP-Mitglied und ein effektiver Technokrat, der jahrelang die Arisierung jüdischen Eigentums vorantrieb. Doch das passt nicht ins übersichtlich in Gut/Böse gerasterte, antikommunistische Weltbild. Auch den Auftraggeber der Studie, den Berliner Stasibeauftragten Martin Gutzeit, empfindet man als Konkurrenten. Anstatt den Linse-Preis also endlich zu beerdigen, wollen Knabe und der Förderverein weiter abwiegeln, aussitzen und forschen, ob sich Linses Rolle nicht doch noch in freundlicherem Lichte präsentiert. Das Risiko, als NS-Schönfärber zu gelten, nimmt man in Kauf. Keine Stellung wird freiwillig geräumt. Auch nicht, wenn sie unhaltbar ist, wie im Fall Linse. Die Stasi-Gedenkstätte führt den Kampf um die erinnerungspolitische Deutungsmacht blindlings und immer verbissener. Und manövriert sich ins Abseits. STEFAN REINECKE
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