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Kommentar VerfassungsschutzaktenAufklärung systematisch hintertrieben

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Dass der Verfassungsschutz die Akten zur NSU vernichtet hat, ist ungeheuerlich. Die Glaubwürdigkeit und die Zukunft der Behörde stehen deshalb in Frage.

W ir haben uns beim Verfassungsschutz an so einiges gewöhnen müssen. Aber das, was jetzt ans Tageslicht gekommen ist, sprengt die schon üblichen Dimensionen. Üblich ist es, dass der Inlandsgeheimdienst bei der Beobachtung von Rechtsextremisten versagt. Doch das, was da im Kölner Bundesamt geschehen ist, lässt sich nicht mit dem Begriff Schlamperei umschreiben.

Es geht auch nicht um eine irgendwie geartete Kumpanei mit Neonazis. Sondern es handelt sich schlicht um die Vernichtung von Beweismitteln in einem Fall von zehnfachem Mord. Eine Behörde der Bundesrepublik Deutschland hat eine andere Behörde dieses Landes daran gehindert, die Hintergründe einer Mordserie aufzuklären. Das ist ein einmaliger, unglaublicher, skandalöser Vorfall.

Denn diese sieben Ordner umfassten Material der Behörde mit den Aussagen von Verfassungsschutzspitzeln aus dem Umfeld des „Thüringer Heimatschutzes“, jener rechtsextremistischen Organisation, aus der auch das Trio der Neonazi-Mörder stammt. Informationen also, die möglicherweise zur Aufklärung der NSU-Mordserie hätten beitragen können.

Bild: taz
KLAUS HILLENBRAND

ist Co-Leiter des Ressorts taz1.

Stetig sinkende Glaubwürdigkeit

Schon kurz nach Aufdeckung der Zwickauer Zelle kam in der Öffentlichkeit der ungeheuerliche Verdacht auf, dass der Verfassungsschutz mehr über die Täter gewusst haben könnte, als er zugab. Gab es womöglich einen Spitzel, der den Geheimdienst über NSU-Interna informierte? Gehörte gar eine Person aus dem Umfeld der Mördertruppe zu den Quellen des Geheimdienstes?

Die Behörde hat diese Verdächtigungen stets dementiert. Doch die Glaubwürdigkeit dieser Dementis sinkt beträchtlich, wenn nun bekannt wird, dass der zuständige Referatsleiter höchstpersönlich dafür sorgte, dass relevante Informationen von Neonazi-Spitzeln niemals die Bundesanwaltschaft erreichen konnten.

Der Verfassungsschutz scheint nun darum bemüht, seinen Referatsleiter als den einzig Schuldigen zu präsentieren. Billiger geht’s wohl nicht mehr. Ein Einzelner soll versagt haben. Daraus lässt sich im Umkehrschluss folgern, dass die Behörde und sein Chef Heinz Fromm sich keiner Schuld bewusst sind und jedwede strukturellen Konsequenzen scheuen.

Die Wahrheit aber ist: Dieser Dienst ist gerade dabei, die eigene Existenz infrage zu stellen. Ausnahmsweise ist er, ganz im Gegensatz zur Aufklärung rechtsextremistischer Bestrebungen, dabei ausgesprochen erfolgreich. Weiter so!

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taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
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8 Kommentare

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  • I
    Ihvic

    Ohne die Mitwirkung des Verfassungsschutz hätte es die Zwickauer Mörderbande nie gegeben.

    Und ohne die falschen Schuldzuweisungen an das Umfeld der Opfer, würden einige von ihnen noch leben.

    Der Staat hat`s übel verpennt. Offenen Auges.

    Verfassungsschutz?

    Arme Verfassung, die so geschützt wird.

  • KK
    Karo Klein

    Ein Geflügeldieb klaut Geflügel, ein Drogendealer verkauft Drogen, was macht wohl ein Neonazi-Mörder?!

    War Migrantenmörder nicht schmissig genug?!

     

    Und mal nebenbei: Auch wenn ich keinen Zweifel daran habe, dass die Tötungen auf der Konto des NSU gehen, seit wann ist das eigentlich Fakt? Oder wird es zu solchem, wenn es die Bundesanwaltschaft behauptet oder im Spiegel steht? Seit wann wird aus einem Verdacht ohne abschließende Prüfung der entsprechenden Institutionen ein Verdikt?

  • M
    Martin

    "Gehörte gar eine Person aus dem Umfeld der Mördertruppe zu den Quellen des Geheimdienstes?"

     

    Aufklärbar ist das jetzt nicht mehr.

  • UK
    Urs Kuba

    Es ist nicht zu fassen:

    Als die sonderbare Verbindung zwischen den Nazi-Serienkillern und dem Thüringer Verfassungsschutz bekannt wurden, wurde auch bekannt, dass die Mörder über amtlich gefälschte Papiere verfügt hatten. Amtlich gefälschte Papiere sind echte Papiere, deren Produktion (und Herausgabe) von amtlichen Stellen veranlasst werden kann. Wie allgemein bekannt sein sollte, kann nicht irgendein einzelner Angestellter einer Behörde einen amtlichen Ausweis selbst herstellen, und ganz bestimmt kann er nicht die Erstellung amtlicher Falschpapiere veranlassen.

    Einzig logische Konsequenz schon dieses Sachverhaltes: es hat sich bezüglich der NSU nicht lediglich um "Ermittlungspannen", sondern ganz offensichtlich (zumindest auch) um Mittäterschaft staatlicher Stellen gehandelt.

    Eigenartigerweise hat sich dann aber ruck-zuck die gesamte bürgerliche Presse auf das Minimalproblem "Ermittlungspannen" eingeschossen - von dem offensichtlichen und erheblich größeren Problem des staatlich geförderten Terrorismus redet dort seit Monaten kein Mensch mehr.

    Dass jetzt auch noch die Akten geschreddert wurden, passt erstens ins Bild der hochkriminellen staatlichen Machenschaften und passt zweitens auch ganz wunderbar in die deutsche Tradition der Aktenvernichtung durch kriminelle Banden in höchsten Regierungsstellen: man erinnere sich an die seinerzeit meterweise verschwundenen Akten aus dem kohl'schen Kanzleramt ... damals wie heute wird selbstverständlich niemand zur Verantwortung gezogen werden: dienstrechtlich nicht und strafrechtlich erst recht nicht.

    Die staatlichen Mörderkomplizen gehören aber lebenslang aus dem Verkehr gezogen!

  • US
    unglaublich, skandalös

    ja sicher.

     

    einmalig: sicher nicht

     

    eher symptomatisch für den Filz in D seit 49, besonders bei den Geheimdiensten

  • H
    Henkson

    Könnte bitte der gleiche Artikel noch einmal 02.07. erscheinen. Die Leute sind gerade zu beschäftigt mit Fußball, um zu begreifen, was da passiert ist.

  • C
    Celsus

    Auf allen (!) Ebenen, auf denen die Vernichtung der Akten betrieben wurde, müssen Leute mangels Zuverlässigkeit aus dem öffentlcihen Dienst ausscheiden. Davon unberührt bleibt selbstverständlich die Strafverfolgung.

  • DU
    Der Uli

    Ein Geheimdienst, der so etwas macht - schön und gut, das ist ein Skandal, ja.

     

    Aber ein Geheimdienst, der so unfassbar dämlich agiert, daß so etwas dann auch noch publik wird, das ist ein echtes Risiko. Die Jungs sollten tiefdunkelrot würdevoll Scham - haben die ihren Agentenschein bei Bastei gemacht? Drei Hefte Jerry Cottbus gelesen und man wird Abteilungsleiter?

     

    Beschützende Werkstätten gibt es viele in den Behörden, aber normalerweise pupt man da nur in Kissen - das ist der wirkliche Skandal, daß hier mit echtem Leben gespielt wird - von Dilletanten