piwik no script img

Kommentar Urwahl bei den GrünenDas Postengeschacher nervt

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Seit Wochen kann man die Grünen dabei beobachten, wie sie sich belauern und einen Machtkampf austragen. Die Debatte zeigt, dass die Grünen nicht nur über Inhalte diskutieren.

D amit hier kein falscher Eindruck entsteht: Über den Vorschlag der Grünen-Spitze, der den Personalstreit entkrampfen soll, lässt sich viel Gutes sagen. Eine Urwahl legitimiert die Mitglieder, über die Gesichter zu entscheiden, die die Partei im Wahlkampf vertreten. Ein solch basisdemokratisches Instrument ernst zu nehmen, steht den Grünen gut zu Gesicht. Denn so predigen ihre mächtigsten Politiker direkte Demokratie nicht nur, sie sind auch bereit, sich ihr zu unterwerfen.

Auch das zweite Signal, das der Vorstand setzt, ist richtig: Ein klug abgestimmtes, gleichberechtigtes Duo – ein Mann neben einer Frau – präsentiert die Partei besser als ein Mann allein. Fraktionschef Jürgen Trittin wirkt auf viele Menschen unnahbar, er kann eine Ergänzung gut gebrauchen. Beide Beschlüsse, Duo und Urwahl, transportieren zudem eine wichtige Botschaft: Die Grünen werten die Flügelarithmetik ab.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich die Parteivorsitzende Claudia Roth und Trittin bei einer Urwahl als Tandem durchsetzen würden. Obwohl beide formal den Parteilinken angehören. Für diesen Abschied ist es höchste Zeit. Die Eitelkeiten der Flügel betonieren die Verhältnisse bei den Grünen viel öfter, als dass sie zu inhaltlich produktiven Reibungen führen – denn da liegen Linke und Realos nur noch bei wenigen Themen auseinander.

Anja Weber
ULRICH SCHULTE

leitet das Parlamentsbüro der taz.

Doch trotz dieser sinnvollen Ansätze in dem Vorschlag verstärkt sich immer mehr der Eindruck: Das Personalgehampel der Grünen-Spitzen nervt fürchterlich. Seit Wochen kann man sie dabei beobachten, wie sie sich eifersüchtig belauern und einen Machtkampf austragen, bei dem vor allem Eitelkeiten eine Rolle spielen. Auch die jetzt präsentierte Lösung löst den Konflikt nicht, sondern lässt ihn weiter köcheln. Denn wer tatsächlich ins Spitzenteam will, verschweigen – Roth ausgenommen – alle Beteiligten weiter. Wird's Trittin mit Roth? Traut sich Künast? Gibt es andere Interessierte? Sicher ist nur, dass das muntere Rätselraten weitergehen wird.

Dass die wichtigen Vier es nicht schaffen, diese Debatte zu unterbinden, stellt ein Führungsversagen dar. Denn das Postengeschacher enttarnt, dass in einer angeblich eng zusammenarbeitetenden Parteispitze Misstrauen herrscht. Außerdem entlarvt die Debatte einen weiteren Mythos. Die Grünen behaupten gerne von sich, ausschließlich und am leidenschaftlichsten über Inhalte zu streiten. Sollte daran noch jemand geglaubt haben, wurde er in den vergangenen Wochen eines besseren belehrt.

Bei den WählerInnen dürften die Berliner Spielchen schlecht ankommen, nicht ohne Grund protestieren die wahlkämpfenden Landesverbände scharf gegen die Debatte. Die Rezeption des Grünen-Klientels unterscheidet sich dabei maßgeblich von der der Wählerschaft anderer Parteien. Bei einer SPD nehmen die Menschen vielleicht noch als gegeben hin, dass mehrere Alphatiere um Posten rangeln. Zumal es dort um eine Kanzlerkandidatur geht.

Bei den Grünen wenden sie sich im Zweifel enttäuscht ab, wenn wochenlang darüber gestritten wird, wer seine Nase auf ein Wahlplakat drucken lassen darf. Gerade weil dies das sorgfältig gepflegte Image der Programmpartei ad absurdum führt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • H
    Hoga

    Da wählte eine Partei den freundlichen, älteren Herrn Gauck. Der hatte in vielen Bereichen Ansichten, Atom-Armut-etc., die nun von Grünen geteilt werden? Die SPD wollte Gauck, um Frau Merkel zu brüskieren. Und Grün? Man hat es sich im feinen Zwirn im Raumschiff Berlin bequem gemacht. Frei nach dem Motto: Was interssieren mich meine Ideen von wann auch immer. Es ist doch längst egal, wer von diesen vier Figuren gewählt wird. Staunen läßt einen nur die Sonntagsfrage: 15%? Oder ist diese Kaffeesatzleserei der Instutite nichts weiter als gewollte Manipulation der Wähler?

  • MH
    Michael Hauck

    Guter Kommentar, der im Grunde alles in's richtige Licht setzt und mich sehr an die gestrige Doku in der ARD ("Schlachtfeld Politik") erinnert. ABER BITTE, wer meint, die Grünen seien bessere Menschen, der irrt, wir haben nur das bessere Programm! Nicht mehr und nicht weniger. Auch die Piraten zeigen doch, wie löbliche Vorsätze sehr schnell im Kleinklein des menschlichen "Mit"einander zerrieben werden. Warum sollte es in einer Partei anders laufen als in einem Unternehmen, in einem Sportverein oder sonstigen Ansammlungen von "gleichgesinnten" Menschen?

  • H
    Henkson

    Die Grünen werden sich genauso erledigen wie die FDP (Das wissen die Grünen nur noch nicht...), weil sie keine Themen mehr haben.

     

    Wenn man sich die Führungsetage anschaut, ist kein Unterschied mehr zu den Altparteien da.

     

    Gefangen im Machtgeklüngel, Kriegsbefürworter usw.

     

    Grüne: weder wählbar, noch demokratiefähig

  • JK
    Jörg Krauß

    Wenn Mensch die Möglichkeit hat, mal 30 Jahre zurückzuschauen, kann er als z.B. soziokulturell Bewegter durchaus vergleichend feststellen, das Die Grünen inzwischen da angekommen scheinen, wo der "Gründungszug" der damals viel breiteren Bewegung nie ankommen wollte. U.a. Beim Postengeschachere. Absolut richtig. Egal welches Thema die heutigen Führungs-Grünen auch anpacken, es ist irgendwie dem Sprach- und Handlungsduktus geschuldet, den man eigentlich als Grünen Sympathisant grundsätzlich beim politischen Gegner verortet hatte. Die Macht, die man sich bereits "erarbeitet" hat befördert ein Sicherheitsdenken, da ja alle Özdemirs und Roths im Parlament, also an der Machtbeteiligung bleiben wollen, da anscheinend nur dort "Veränderung" zu bewegen wäre. Ich gebe den Grünen mit auf den Weg, das Sie aus meiner Sicht über die Jahre in die Parlamente gekommen sind, weil sich ausserparlamentarisch viel bewegt hat und die Grünen genau dafür standen. Sie wurden von den meisten Leuten nicht hineingewählt, um sich einer Totalassimilation zu unterziehen und Positionen zu übernehmen bzw. redselig zu schweigen, für die Sie vor Jahren zum grünen Teufelchen gejagt worden wären.

  • K
    Kurt

    Lang, lang ist es her, da versuchten die Grünen auch strukturell den Muff aus dem Politbetrieb zu vertreiben: Quotierung, Rotation, Begrenzung der Mandate auf zwei Legislaturperioden. Das war nicht immer erfolgreich (v.a. die Zwangsrotation hat sich wohl nicht bewährt), aber mutig und sympathisch. Wenn ich mir jetzt diesen Zirkus um die "Spitzen"kandidatur, den die alten Frau- und Herrschaften (nicht, dass ich jünger geworden wäre) da veranstalten, anschaue, bedaure ich zutiefst, dass das Prinzip der Mandatsbegrenzung über Bord geworfen wurde. Eine Auszeit, vielleicht sogar in der Produktion (muss ja nicht gleich 'ne Fischmehlfabrik sein), schadete gewiss nicht.

  • H
    HamburgerX

    Claudia Roth ist und bleibt das beste Argument gegen eine Frauenquote.

  • JB
    Jane Bond

    ZITAT:"Die Grünen behaupten gerne von sich, ausschließlich und am leidenschaftlichsten über Inhalte zu streiten."

     

    Wie wenig sich auch die Grünen des Berliner Landesverbandes tatsächlich um Inhalte scheren, sehen man und frau an dem plötzlichesn Abschalten des Online-Mitsprache-Portals der Partei.

     

    http://www.freitag.de/community/blogs/lila-lueftchen/berliner-gruene-im-online-krampf

     

    Nach kritischen Fragen von BürgerInnen gibt es das schlecht gemachte Portal nun einfach nicht mehr, mit dem die Grünen vorher u.a. im Wahlkampf groß angegeben haben.

     

    Soviel zur "Mitsprache" und zu "Inhalten" bei den machtgierigen Grünen. Denen sind ihre WählerInnen samt Inhalten total egal, sobald sie gewählt sind.

  • J
    JMF

    Wow, auch die Grünen reden nicht nur über Inhalte sondern sind eine ganz normale polititsche Partei!

     

    Welch eine Erkenntnis, und das in der TAZ. Blasphemie, Herr Schulte!