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"...dass uns bloß jemand mit der nötigen Phantasie fehlt, die neuen Überwachungsmöglichkeiten in ein Gefahrenszenario für die heutige westliche Gesellschaft zu übersetzen."
Auch wenn es nicht an die literarischen Qualitäten von 1984 heranreicht, so ist der Science-Fiction-Roman "Der Traveller" von John Twelve Hawks aus dem Jahre 2005 ein viel versprechender Kandidat dafür.
Es ist eine wilde Mischung aus Überwachungsstaat, Widerstand dagegen, Verschwörungstheorie, Martial Arts und buddhistischen Ideen. Man kann das Teil auch als reinen, sehr spannenden Unterhaltungsroman lesen, der Autor dachte sich aber mehr dabei: in der britischen Originalausgabe stellt er er gleich in den ersten Absätzen seines ausführlichen Nachworts klar, worum es ihm geht: "We drink our morning tea with a drop of fear. (...) The first icon of the twenty-first century is the closed-circuit surveillance camera, slowly panning back and forth as we move beneath its gaze". Das Buch soll keine Vorhersage für die Zukunft darstellen, sondern mit Hilfe von Science-Fiction-Elementen zeigen, wie wir schon heute leben.
(und: nein, ich bin nicht mit dem Verlag oder Autor verbandelt, ich finde das Buch einfach nur Klasse; für mich persönlich ist es DER Roman zur heutigen Überwachungssituation)
Eine Bus- oder Bahnfahrt ohne Ticket kann mit Haft enden. Eine Katastrophe für Betroffene, die Forscherinnen mit einem offenen Brief bekämpfen wollen.
Kommentar Überwachung: Es mangelt an Phantasie
Zwei mutmaßliche Totschläger sind mit Hilfe von Überwachungskameras gefasst worden. Den Opfern hat das trotzdem nichts genützt.
Zwei mutmaßliche Totschläger sind mit Hilfe von Überwachungskameras gefasst worden. Wer den Tathergang verfolgt hat, atmet erleichtert und befriedigt auf. Immer häufiger ist von solchen Fällen in der Zeitung zu lesen. Den Opfern hat die Videoüberwachung jedoch nichts genützt und die Täter sind durch sie nicht abgeschreckt worden. Einige Untersuchungen deuten daraufhin, dass die Überwachung nur zur Aufklärung taugt.
Das ist freilich kein geringes Gut: Das Rechtsempfinden der Bevölkerung wird gestärkt; die Täter werden aus dem Verkehr gezogen - wenn es ganz gut läuft sogar auf den rechten Weg gebracht. Die kathartische Erlösung von der Angst, die das Fangen von Verbrechern vermittelt, ist jedoch eine starke Emotion, die leicht zu unbedachten Schlüssen verleitet. Die starke Ausbreitung der Videoüberwachung und der geringe Widerstand dagegen sprechen dafür, dass dieses Gefühl weit stärker ist als die Angst vor eine Überwachung auf Schritt und Tritt.
Das Jahr 1984 mit seiner Überwachungsangst scheint unvorstellbar weit weg. Auch mag seit dem Ende der Blockkonfrontation George Orwells Horrorvision an Plausibilität eingebüßt haben. Es drängt sich der Verdacht auf, dass uns bloß jemand mit der nötigen Phantasie fehlt, die neuen Überwachungsmöglichkeiten in ein Gefahrenszenario für die heutige westliche Gesellschaft zu übersetzen.
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Kommentar von
Gernot Knödler
Hamburg-Redakteur
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