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Kommentar US-WahlkampfFührung als Fürsorge

Kommentar von Philipp Gessler

Obamas 27 Minuten langer Wahlkampfspot der Extraklasse zeigt nicht das aufprotzende, stolze und mächtige Amerika, sondern ein nachdenkliches und verunsichertes Land.

In einem Land, das seine großen Visionen und ärgsten Probleme über das Kino und das Fernsehen verhandelt, muss jeder Präsidentschaftskandidat vor allem im TV präsent sein. Insofern ist es logisch, dass Barack Obama einen bedeutenden Teil seiner offenbar noch reichlich verbliebenen Millionen US-Dollar aus der Wahlkampfkasse in ein 27-minütiges Opus investiert hat. Es ist ein Wahlkampfspot der Extraklasse, der wohl selbst in den USA zum Staunen anregt, so lang, so aufwändig und so prominent platziert ist er. Zwar richtet sich der Spot ausdrücklich an die eigenen Landsleute, doch auch wir Europäer können hier etwas lernen.

Zunächst: In dem für europäische Augen vielleicht dann doch etwas zu perfektem und pathetischen Spot werden Geschichten von hard working Mittelstandsfamilien mitten in den USA erzählt, mit denen man eigentlich nur Mitleid haben kann. Sie müssen jeden Cent umdrehen, sorgen sich um ihr Erspartes und um die Ausbildung ihrer Kinder, beklagen eine unzureichende oder zu teure Gesundheitsversorgung. Mitleid kommt diesseits des Atlantik selten auf, wenn es um die USA geht, und die würden sicher gern darauf verzichten.

Dies zeigt aber auch, wie sehr sich die Mächteverhältnisse weltweit verschoben haben, zumindest derzeit. Obama zeigt nicht das aufprotzende, stolze und mächtige Amerika, sondern ein nachdenkliches, sorgenvolles und verunsichertes Land. Ob ein Umgang mit diesem nach dem 4. November leichter oder schwerer wird, ist offen.

Das führt zum zweiten Charakteristikum des Spots aus europäischer Sicht: Der Rest der Welt kommt praktisch nicht vor. Wenn dies programmatisch zu verstehen ist, bedeutete dies, dass sich die USA in den kommenden vier Jahren auch unter Obama vor allem um die internen Probleme kümmern wollen - wenn die Welt dies denn zulässt. Im Kino, so heißt es, lieben Amerikaner die Sieger, die Europäer die Verlierer. Sollte der Wahlkampfspot ein Symbol sein für die zukünftige transatlantische Beziehungskiste, könnten sich die Alte und die Neue Welt bald näherkommen: vereint in Sorge.

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1 Kommentar

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  • AF
    Axel Feuerberg

    Man könnte den Spot auch "James Ryan found!" betiteln.