Kommentar Türkei-Nordirak: Logik der Eskalation
Ein Einmarsch der Türkei in den Nordirak wird die PKK nur stärken. Und nach fast 25 Jahren würde aus einem nationalen endgültig ein internationaler Konflikt.
Jürgen Gottschlich ist Türkei-Korrespondent der taz
Es ist schon erstaunlich. Acht Jahre nach der Festnahme von PKK-Chef Abdullah Öcalan und der anschließenden Friedensphase ist seine Organisation wieder zu einem entscheidenden politischen Faktor geworden. Wenn die Türkei nun womöglich im Nordirak einmarschiert, kann man jetzt schon voraussagen, wem das am meisten nützen wird: der PKK. Doch genauso wenig, wie die Hisbollah besiegt werden konnte, obwohl die israelische Armee den halben Libanon in Schutt und Asche legte, wird sich die PKK durch einen türkischen Einmarsch im Nordirak erledigen lassen.
Natürlich kann ein Staat nicht tatenlos zusehen, wie eine Guerilla dutzendweise Soldaten, Polizisten und Zivilisten tötet. Doch sollte den politisch Verantwortlichen in der Türkei nach fast 25 Jahren vergeblichen Ringens um einen militärischen Sieg über die PKK klar sein, dass nun politische Entscheidungen gefragt sind. Nicht zuletzt auf Druck der EU hat sich die türkische Führung in den letzten Jahren dazu bereit gefunden, den Kurden einige Zugeständnisse zu machen - vor allem auf kulturellem Gebiet. Doch von vielen Kurden wird dies nach wie vor eher als eine kosmetische Korrektur wahrgenommen.
Nach wie vor gelten Kurden nicht wirklich als gleichberechtigte Volksgruppe, nach wie vor gibt es auch in der laufenden Debatte um eine neue Verfassung kein substanzielles Entgegenkommen. Das wäre aber notwendig, um die PKK von der Mehrheit der kurdischen Bevölkerung zu isolieren und ihr so den politischen Boden zu entziehen.
Vergeblich verweisen die kurdischen Abgeordneten im türkischen Parlament bislang auf das spanische Vorbild. Auch die versprochene ökonomische Unterstützung der völlig verarmten kurdischen Region ist bislang ausgeblieben. Stattdessen geht man der Eskalationslogik der PKK auf den Leim. Anschläge wurden ausschließlich militärisch beantwortet, kurdischer und türkischer Nationalismus schaukeln sich gegenseitig hoch. Ein Einmarsch in Nordirak würde einen nationalen Konflikt endgültig in eine internationale Krise verwandeln. JÜRGEN GOTTSCHLICH
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