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Kommentar StudienanfängerDie Rückkehr des Bummelstudenten

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Mit einem Durchschnittsabi bekommt man heute keinen vernünftigen Studienplatz. Das führt zu verlangsamten Biografien und merkwürdigen Konstellationen.

D ie Zahl der Studienanfänger an deutschen Hochschulen hat einen neuen Rekord erreicht. Die doppelten Abiturjahrgänge in Bayern und Niedersachsen, die Aussetzung der Wehrpflicht führte zu dem Ansturm. Das heizt den Wettbewerb unter den Abiturienten an: Junge Leute, die nur mit einer durchschnittlichen Abinote an die Unis wollen, haben kaum eine Chance auf einen vernünftigen Studienplatz. Das führt zu absurden Konstellationen.

Das Dilemma kennen Eltern und Kinder, die mit einem Abiturdurchschnitt von 2,7 oder schlechter nachhause kommen. Wer zum Beispiel Soziale Arbeit, Psychologie oder Betriebswirtschaft studieren will, hat mit einem solchen Schnitt an den allermeisten staatlichen Universitäten erstmal keine Chance. Das Argument, hierbei handele es sich nur um normalen Wettbewerb unter Abiturienten, den man akzeptieren muss, zieht dabei nicht.

Die Zulassungsbeschränkungen haben nichts mit den inhaltlichen Anforderungen in den Fächern zu tun, sondern mit dem arithmetischen Verhältnis von Studienplatzinteressenten und vorhandenen Studienplätzen. Das führt zur denkwürdigen Konstellation, dass etwa in Informatik oder Maschinenbau vielerorts kein Numerus Clausus vorgeschaltet ist, obwohl es sich um die anspruchsvollsten Fächer handelt. Viele Studienanfänger in den Ingenieurswissenschaften, die ohne NC einen Platz bekamen, werfen in den ersten Semestern das Handtuch.

Bild: taz
BARBARA DRIBBUSCH

ist Redakteurin für Soziales im taz-Inland-Ressort.

Gerade der Wettbewerb um die Studienplätze führt so paradoxerweise zur biographischen Verlangsamung. Der Durchschnittsabiturient schaltet ein paar Semester in Ethnologie oder Orientalistik dazwischen, oder vielleicht ein Jahr Freiwilligendienst oder einen längeren Auslandsaufenthalt – in der Hoffnung nach einiger Zeit vielleicht doch noch den begehrten Studienplatz in Psychologie oder Soziale Arbeit zu ergattern.

Der in den 70er und 80er Jahren viel geschmähte „Bummelstudent“ kehrt so in unfreiwilliger Variante wieder. Wer hätte gedacht, dass eine Bildungspolitik sich solchermaßen selbst torpediert. Ohne mehr Geld für die Universitäten, das sich dann auch in Plätzen niederschlägt, wird es nicht gehen.

Update 16.03.12 16.30: Nach Hinweisen aus den LeserInnenkommentaren hat die Autorin eine Änderung in Bezug auf den Studiengang „Soziale Arbeit“ und die Anrechnung von Wartesemestern vorgenommen.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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13 Kommentare

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  • M
    Mark

    "Der Durchschnittsabiturient schaltet ein paar Semester in Ethnologie oder Orientalistik dazwischen"

     

    Leider Quatsch mit Soße, weil studieren keine Wartesemester bringt ... Also ist auch die These mit dem Bummelstudenten Käse.

  • AB
    aus Baden

    Sie haben vergessen zu erwähnen, dass auch Baden_Würtemberg dieses Jahr einen doppelten Abi-Jahrgang hat.

  • FE
    Frau Edith Müller

    Wir können die Unis ganz dicht machen. Was wir an Fachkräften brauchen, holen wir aus dem Ausland. Scheiß auf Bildung und Lebensperspektive für deutsche junge Menschen. Die reichen uns als Konsumenten.

  • O
    oranier

    Ein durchaus peinlicher Artikel. Schon dass sich die Autorin in Bezug auf die Bezeichnung eines behandelten Studienfachs und die Modalitäten von Wartesemestern aus Kommentaren belehren lassen muss, statt sich auszukennen oder vorab korrekt zu recherchieren!

     

    Und dann der scheußliche Begriff der "biografischen Verlangsamung" für Leute, die einen Freiwilligendienst ableisten oder einen Auslandsaufenthalt bestreiten. Als ließen sich dabei nicht erweiterte Erfahrungen sammeln im Vergleich zu einem geradlinien Schmalspurstudium. Der Begriff ist zudem sprachlogischer Unfug, denn das Gegenteil "biografische Beschleunigung" würde nichts anderes bedeuten als früherer Tod.

     

    Zum "Bummelstudenten" wurde in anderen Kommentaren schon Wesentliches gesagt. Gibt es tatsächlich bei den Ingenieurwissenschaftlern mehr Studienabbrechern als anderwo? Da fehlen mir die statistischen Vergleiche. Der Numerus Clausus orientierte sich meinem Wissen nach immer schon formalistisch am Notendurchschnitt. Mit der realen Fähigkeit als Arzt oder Psychologin hatte das nie etwas zu tun. Die Alternative wären Eignungstests zum Studienbeginn, und die widersprächen dem Prinzip des Abis als Nachweis allgemeiner Hochschulreife.

     

    Alles in allem eine unausgegorene Kritik, nicht ohne diskriminierende Momente, aber ohne den wirklichen Ausweis tragfähiger Alternativen.

  • CS
    Claus Schäfer

    Erschreckend, in einem Blatt wie der TAZ den - offensichtlich ernsthaft gemeinten - Begriff "Bummelstudent" zu finden. Diesen Studenten gab es sicher, aber in extrem geringer undsomit kaum ernsthaft zu thematisierender Zahl.

     

    Auch mich könnte man - oberflächlich betrachtet - als "Bummelstudent" bezeichnen. Ich habe in meinem Studiengang - Regelstudienzeit 10 Semester - 19 Semester zugebracht. Das ging nur mit durchgehenden Nebenjobbs, im Hauptstudium habe ich mich erfolreich selbstständig gemacht und damit das Studium finanziert. Das war auch ohne Studiengebühren nicht einfach.

     

    Heute bin ich 50 JAhre alt. Die Studenten von heute beneide ich nicht: beschleunigt in Schule und Studium der Universität entsprungene Neulinge in unserem Betrieb fallen vor allem mit einem hohen Grad an - früher für einen Akademiker unvorstellbaren - Grad an allgemeiner "Unbildung" und Geringstqualifikation auf ...

     

    Das scheint der Preis einer beschleunigten, komprimierten Ausbildung zu sein ... und das in einer Offensichtlichkeit, die es weit mehr verdient hätte thematisiert zu werden als der "Bummelstudent"!

     

    Claus Schäfer

  • N
    Nania

    Im Grunde genommen ist der Kommentar korrekt, aber leider nur im Grunde.

     

    Ich selbst studiere zwei geisteswissenschaftliche Fächer an einer technischen Universität.

    In einem meiner Fächer gab es einen Nummerus Clausus. Aber wie soll die Uni es sonst stemmen? Es gibt in diesem Fach an dieser Uni nun mal nur 64 Plätze.

    Vielleicht könnte man hier die Leute noch zu Gesprächen oder Tests einladen, aber im Grunde genommen würde sich wohl nicht allzuviel ändern.

    Auf diese 64 Plätze gibts im Übrigen etwa 400 Bewerber. Die kleinen Institute können aber mehr als diese 64 Studenten zuzüglich einer größeren Zahl Lehramtsstudenten überhaupt nicht stemmen.

     

    Technische Fächer (viele, nicht alle) sind jedoch anders ausgelegt. Wenn dann die Mathematiker in ihren ersten Vorlesungen mit 1000 Leuten sitzen, dann funktioniert das nur, weil der Studiengang anders strukturiert - und an dieser Uni mit mehr Personal besetzt ist.

     

    Zudem: Wartesemester sind Semester, in denen man NICHT an einer deutschen Hochschule studiert. Sprich: Die im Kommentar genannten Bummelstudenten können sich so gar nicht generieren. Wenn überhaupt durch Auslandsaufenthalte oder Jahrespraktikas. Aber spricht man dann noch vom Bummelstudenten?

     

    Darüberhinaus sind die Fächer, die mit hohen NCs belegt sind, häufig auch schwierigere Fächer. Das ist jetzt nicht falsch zu verstehen, aber wer Germanistik studieren möchte, der bekommt auch mit einem schlechteren Schnitt meistens an einer anderen Uni noch einen Platz.

    Richtig heftig sind doch eher Fächer wie Medizin, Zahnmedizin und Tiermedizin (fünf Unis in ganz Deutschland an denen man das studieren kann). Dazu Fächer wie Psychologie usw.

  • H
    Hans

    Es gab selten den wirklichen Bummelstudenten, die meisten sogenannten Langzeitstudenten haben einfach gejobbt oder jobben müssen. Und auch heute müssen einige jobben und die haben es gerade mit dem Bachelor schwerer als vorher. Und auf diesem Weg sorgt dann der Bologna-Prozess für die soziale Auslese, die vor jedem NC kommt und die Chancen von Kinden von Armen, Arbeitslosen oder getrennten Paaren drastisch verschlechtert.

    Sich in Unis einzuschleichen hat auch schon lange Tradition. Ich kann mich gut an Leute erinnern, die Ende der 80er Jahre schon ein paar Jahre gewartet hatten, während x andere sich irgendwo einschrieben und dann einfach wechselten. Die Uni ist eben ein Selbsthilfesystem - das sollte jeder wissen, der studieren will. Auch abgelegene Unis sollte man nicht meiden, häufig geht's da auch schneller.

  • 0
    0815-Studi

    Im Kommentar steckt eine Mißverständlichkeit. Wartesemester sind grundsätzlich nur die Semester, in denen man nach dem Erwerb des Abiturs NICHT(!) an einer deutschen Hochschule eingeschrieben war. Wer sich in ein Parkstudium immatrikuliert sammelt also keine Wartesemester. Außerdem geht der BAföG-Anspruch in vielen Fällen flöten.

     

    Und NC von 2,7 ist aussichtlos? JA, grundsätzlich schon. In den Ballungsräumen (z.B. Berlin, München, Hamburg Köln)hat man schon mit einer 2,0 oder besser keine Chance auf ein Studium.

  • E
    egal

    Das Studium heißt "Soziale Arbeit" und nicht Sozialarbeit. Willkommen im Jahre 2012.

  • M
    Megestos

    Mehr Studienplätze müssen sein, da gebe ich Frau Dribbusch ganz und gar recht.

     

    Ein kleines Detail störte mich aber doch: es ist doch ein bisschen pauschal, Ingenieurswissenschaften und Informatik als generell "anspruchsvoller" zu bezeichnen. Viele Studierende fallen durch Prüfungen und brechen diese Fächer ab, das stimmt - aber das ist in den meisten Fällen auch erwünscht. Klausuren sind in diesen Fächern so kalkuliert, dass sie schwierig sind. Natürlich könnte man das in Philosophie oder Soziologie auch tun; in den Geisteswissenschaften liegt der Leistungsschwerpunkt aber nicht auf Klausuren, sondern auf Hausarbeiten. In letzteren ist es schwierig, einen derartigen Stuss zusammenzuschreiben, dass man durchfällt - man hat ja schließlich keine Zeitbegrenzung und wird durch Kommilitonen und Profs unterstützt. Selbstverständlich gibt es aber in den Kultur- und Geisteswissenschaften Leute, die das Fach nicht besonders gut beherrschen. Im Gegensatz zu den MINT-Fächern, die eben Prüfungslastig sind, fallen die leistungsschwächeren Studierenden zwar nicht durch, schließen aber mit schlechten Noten ab und verzichten meistens dann darauf, im Master weiterzustudieren. Viele brechen auch ohne Prüfungsversagen ab, weil sie merken, dass das Fach ihnen nicht liegt. Das hat alles nicht mit den Ansprüchen des Faches zu tun, sondern damit, wie geprüft und bewertet wird. Der durchschnittliche Informatikstudent wäre ein ebenso lausiger Historiker wie umgekehrt.

     

    Die vielen freien Studienplätze bei den Ingenieuren und Mathematikern haben übrigens noch andere Gründe: hier besteht das Studium am Anfang aus Vorlesung (= ein Prof auf 200 Leute) und aus Tutorien, die von fortgeschrittenen Studenten geleitet werden. In anderen Fächern hingegen werden vom ersten Semester an die Studierenden in Seminaren mit 30 Leuten von promovierten und teilweise habilitierten Lehrkräften betreut. Natürlich kann man bei so einem Verhältnis von Lehrenden zu Studierenden nicht so viele Leute aufnehmen wie in den MINT-Fächern, zumal in letzteren in den ersten Semestern eben wie gesagt heftig gesiebt wird.

  • Y
    yakitora

    Äh, ja . . .

    Für Sozialarbeit oder Psychologie braucht man Fähigkeiten, die sich nicht in der ABI-Note widerspiegeln, wie z.B. "soziale Kompetenz", und das gilt auch für einen BWLer.

     

    Aber in Fächern wie Informatik, Maschinenbau oder Elektrotechnik darf jeder Schwachmatikus (sry., aber diese Fächer erfordern nun mal Kenntnisse in Mathe und Physik) mal eben sechs oder acht Semester lang scheitern?

     

    Welcher Bock hat denn hier den Gärtner-Hut auf und die große Heckenschere in der Hand?!

  • IZ
    Ina Zagst

    Zusätzlich führt nach meiner Beobachtung auch die Verjüngung der AbiturientInnen in Bayern dazu, dass die Entscheidung über das mögliche Studienfach noch ein Jahr auf Eis gelegt wird. Ich kann es statistisch nicht belegen, glaube aber, dass viel weniger AbiturientInnen als "vor dem G8" direkt nach dem Abi in die Uni oder in die Ausbildung wechseln, weil sie sich zu einer Entscheidung noch nicht in der Lage sehen.

  • H
    herbert

    Entschuldigung! Einen "vernünftigen Studienplatz" bekommt jeder jederzeit - denn die wirklich vernünftigen Fächer haben gar keinen NC. (Steht völlig richtig auch so im Artikel). Vielleicht mit Ausnahme von Medizin.

     

    Den Rest braucht niemand. Wirklich niemand. Ist zwar böse, aber Realität.