Kommentar Strompreise: Ohne Umdenken kein Wettbewerb
Wir haben ein falsches, tradiertes Bild vom Stromversorger. Es ist das Bild eines öffentlich-rechtlichen Dienstleisters. Dabei zählen auch für ihn nur die Profite.
D er Strommarkt funktioniert nicht, das hat nun mal wieder eine Studie belegt. Doch warum funktioniert er nicht? Ein Markt benötigt auf beiden Seiten Akteure, die marktwirtschaftlich handeln - auf der einen Seite die Kunden, auf der anderen die Anbieter. Verweigert sich nur eine der beiden Gruppen kollektiv, kann das ganze Spiel nicht funktionieren.
Und welche Seite dies im Fall des Strommarktes ist, ist eindeutig: Es sind die Kunden, die sich mehrheitlich vom Marktgeschehen fernhalten. Nach Zahlen des Branchenverbandes beziehen noch immer fast 80 Prozent aller Haushalte ihren Strom in alter Tradition von ihrem örtlichen Grundversorger. Wie, bitte schön, soll da ein vernünftiger Markt in die Gänge kommen?
Freilich hat die Trägheit der Kunden ihren Grund. Dahinter steckt ein über Jahrzehnte tradiertes Bild vom Stromversorger, das diesen als eine Art öffentlich-rechtlichen Dienstleister zeichnet. Obwohl der Versorger das natürlich längst nicht mehr ist, besteht das Bild in vielen Köpfen fort.
Bernward Janzing ist Autor der taz.
Und solange das der Fall ist, werden die großen Stromkonzerne auch weiterhin Preispolitik nach Gutsherrenart machen können. Nehmen wir den aktuellen Grundtarif von RWE: In einem funktionierenden Wettbewerb würde kein Mensch diesen Preis bezahlen. Denn nicht nur alle vier unabhängigen Ökostromanbieter sind längst billiger, sondern auch viele andere Stromhändler.
Nun gibt es gleichwohl Gründe, auch die Stromkonzerne wegen nicht marktgerechten Verhaltens zu kritisieren. Doch diese betreffen andere Sparten der Wertschöpfung, etwa die Art und Weise der Stromerzeugung, die noch immer weitgehend oligopolistischen Strukturen unterliegt. Im Vertrieb - und um den geht es hier - verhalten sich die Konzerne durchaus nach den Regeln des freien Marktes: Sie kitzeln aus dem Kunden raus, was möglich ist, solange der nicht die Flucht ergreift. Wettbewerbswidrig ist das nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen