Kommentar: Staatsanwalt lässt Thierse laufen: Ein peinlicher Freispruch

Die Staatswanwaltschaft ermittelt nicht mehr wegen der Nazi-Blockade gegen den Bundestagsvizepräsidenten. Die Begründung ist abenteuerlich.

Das sitzt: Bundestagsvizepräsident Thierse ist für die Staatswanwaltschaft kein Krawallbruder Bild: Reuters

Eigentlich ist die Strafe in Sachsen genauso hoch wie in Berlin: Für die Blockade einer erlaubten Demonstration gibt es bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe. Doch die Anwendung ist unterschiedlich: Der Linken-Fraktionsvorsitzende in Sachsen, André Hahn, soll für seine Teilnahme an der Blockade einer Neonazi-Demo am 13. Februar in Dresden 500 Euro zahlen. Bei Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) will die Staatsanwaltschaft dagegen das Verfahren in einem gleich gelagerten Fall einstellen - doch die dafür gefundene Begründung ist ziemlich abenteuerlich.

Als Thierse am 1. Mai eine Neonazi-Demo in Prenzlauer Berg blockierte, entfernte er sich keineswegs freiwillig - wie die Staatsanwaltschaft behauptet. Tatsächlich blieb er sitzen, obwohl die Polizei ihn mehrfach namentlich aufforderte, die Straße zu räumen. Erst als die Beamten begannen, ihn am Arm wegzuzerren, stand Thierse auf und ging. Von "freiwillig" kann da keine Rede sein.

Nach der Blockade einer Neonazi-Demonstration am 1. Mai will die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) einstellen. Zwar habe Thierse die Demonstration laut Mitteilung der Staatsanwaltschaft durch die Blockade grob gestört - das wird laut Paragraf 21 des Versammlungsgesetzes mit bis zu drei Jahren Haft bestraft. Die Blockade sei aber nur von kurzer Dauer gewesen und Thierse habe sich auf polizeiliche Aufforderung entfernt. Auch das Verfahren gegen die anderen prominenten Blockierer soll eingestellt werden. Neben Thierse hatten sich unter anderem der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland (Grüne), der Integrationsbeauftragte des Senats, Günter Piening, und der Pankower Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SPD) in Prenzlauer Berg auf die Straße entlang der Route der rund 700 Rechtsextremisten gesetzt. (ddp, taz)

Genauso wirr ist auch das Argument der Staatsanwaltschaft, Thierses Blockade habe lediglich 13 Minuten gedauert. Denn erstens stellt Paragraf 21 des Versammlungsgesetzes jede grobe Störung einer Demonstration unter Strafe und nicht nur besonders lang dauernde grobe Störungen. Und zweitens wäre Thierse - siehe oben - sicher noch viel länger sitzen geblieben, wenn die Polizei sich nicht so schnell um ihn gekümmert hätte.

Die peinliche Begründung der Staatsanwaltschaft hinterlässt den Eindruck, dass hier mit zweierlei Maß gemessen werden soll, um einen der höchsten Repräsentanten des Staates zu schützen. Und das ist nun wirklich keine überzeugende Demonstration des Rechtsstaates.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.