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Kommentar SorgerechtsentzugGericht macht Sozialarbeit

Gernot Knödler
Kommentar von Gernot Knödler

Der Teilentzug des Sorgerechts hört sich schlimmer an als er ist. Damit hat das Gericht einen neuen Weg geöffnet, die betroffenen Kinder zu unterstützen.

D ie Ankündigung, Eltern das Sorgerecht teilweise zu entziehen, wenn sie ihre Kinder nicht zur Schule schicken, ist eine clevere Idee. Das Wort "Sorgerechtsentzug" klingt schlimm. In der milden Form, in der es hier angewandt wird, verbirgt sich dahinter tatsächlich eher eine Hilfe für die Familien als eine Sanktion.

Die Hürden, in das Sorgerecht der Eltern einzugreifen, sind hoch. Die Pflege und Erziehung der Kinder seien das natürliche Recht der Eltern, heißt es im Grundgesetz. Der Staat hat nicht einzugreifen, es sei denn, das Wohl des Kindes ist in Gefahr. Mitunter kann es nötig sein, Kinder vor ihren Eltern zu schützen.

Das Sorgerecht ganz zu entziehen, bedeutet, die Kinder von ihren Eltern zu trennen. Das ist ein drastischer Einschnitt für die Eltern wie für die Kinder. Fehlt ein Kind ein paar Male in der Schule, wäre ein derart großer Schritt kaum zu vertreten.

Die Hürde, das Sorgerecht nur für einen Teil der Erziehung zu entziehen, liegt dagegen viel niedriger. Die Kinder bleiben in den Familien, aber die Eltern, die sich mit der Erziehung schwer tun, werden gezwungen, sich helfen zu lassen. Das Gericht hat damit einen neuen Weg geöffnet, die betroffenen Kinder zu unterstützen.

Dass die Gerichte die Initiative ergreifen, ist sinnvoll. Bei ihnen kommen die schwierigen Fälle immer wieder auf den Tisch. Das verschafft ihnen den Überblick und damit automatisch eine zentrale Rolle.

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Gernot Knödler
Hamburg-Redakteur
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4 Kommentare

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  • DJ
    Disziplin ja, Zwang nein

    ich nehme an, dass Sie Herr Knödler zu den wenigen gehören, die nie in der Oberstufe bei einem verhassten Lehrer geschwänzt haben.

     

    Ich hingegen schon.

     

    Hätte man aber damals meine Eltern dafür verantwortlich gemacht, wie hätte ich dann je lernen können selbstverantwortlich zu handeln.

    Damals drohte man mir mit Schulverbot und da ich doch das Abitur haben wollte, zog ich die nötigen Konsequenzen.

     

    Aber Abitur war eine Perspektive. Welche Perspektive aber werden heute Hauptschülern geboten ?

     

    Nicht die Eltern sind verantwortlich sondern die Jugendlichen und die Gesellschaft, die ihnen Perspektiven aufzeigen und ausreichende Bildungsresoucen anbieten muss.

     

    Vor 4 Jahren weigerte sich mein damals 16 jähriger Sohn standhaft in die Schule zu gehen. Ich bat ihn, bestach ihn, bettelte, erpresste und zu guter letzt schüttete ich eine Schüssel Wasser in sein Bett. Bis heute schäme ich mich dafür!

    Zu genau so etwas zwingt uns dieser behördliche Schulzwang.

     

    Heute sage ich bewußt NEIN. Wenn eines meiner Kinder keine Lust auf Schule hat, OK. Ich schreibe Entschuldigungen. Aber sie müssen in dieser Zeit lernen und mir einen Arbeitsplan vorweisen. Irgendwann vergeht der Schulfrust und sie gehen wieder zur Schule auf besseren Wissensstand als zuvor.

    Mein anderer Sohn musste letztes Jahr zum Amtsarzt wegen zu vielem Fehlens, obwohl er ein sehr leistungsstarker Schüler ist, O-Ton des Direktors "sein Beispiel könnte ja Schule machen".

    Der Amtsarzt fühle sich misbraucht und meinte Bildungsverweigerer sehen anders aus und werden von der Schule und solchen Rektoren gemacht. Recht hat er !

    (Inzwischen wird unsere kleine Anachie von der Schule geduldet, aber nur weil die Leistung stimmt.)

     

    Wenn morgen jemand kommen würde und mir meine Kinder wegnehmen wollte oder sich in unseren Familienalltag einmischen würde, ich schätze er würde sich mit meinen sehr selbstbewußten und eloquenten Kindern schwer tun und schnell die Flucht ergreifen.

     

    Statt Gängelung der Eltern und Schüler sollte der Staat mehr in die Lehrerausbildung investieren damit unsere Kinder endlich von wirklichen Pädagogen unterrichtet werden.

    Bildung und Zwang passen nicht zusammen.

  • L
    LkN

    Wie kann man so unkritisch dem staatlichen Eingriff in Familien huldigen? Wie kann man so naiv daran glauben, dass ein zwangsweise verordneter Erziehungshelfer eine Biografie, einen Menschen reparieren kann? Linkem Denken käme es zu, diese Staatsgläubigkeit, dieses Setzen auf den ordnenden Eingriff von oben zu kritisieren - statt dessen stellt die taz gönnerhaft-gnädig fest, ein totaler Sorgerechtsentzug würde zu weit gehen. Leute, so was auch nur zu schreiben, ist ein Skandal, natürlich geht er zu weit, er wäre, wenn er nur aus Schulgründen erfolgte, eine Barbarei! Man muss doch sehen, dass die meisten Schulschwänzer objektiv recht haben, weil sie genau merken, dass sie aus dem Schulsystem sowieso als Verlierer ausgespuckt werden, dass der Mythos von der Förderung aller ein falscher gesellschaftlicher Schein ist, dass sie sowieso chancenlos sind und in jedem Fall fremdbestimmt werden. Schulschwänzen ist Menschenrecht, und wenn dieser sog. Bildungsstreik nicht so handzahm, sondern wirklich emanzipatorisch wäre, wenn die Schüler_innen wirklich etwas von ihrer Situation verstünden, würden sie einen Streik abhalten, der den Namen verdient - sie würden nämlich so lange nicht mehr kommen, bis sie wirklich bestimmen könnten, was in ihrer Schule passiert, am besten bis zur Abschaffung der Schulpflicht. Die taz, die solche Kommentare druckt, wird natürlich solchen Jugendlichen nur mit dem erhobenen Zeigefinger begegnen, traurig.

  • DJ
    Disziplin ja, Zwang nein

    ich nehme an, dass Sie Herr Knödler zu den wenigen gehören, die nie in der Oberstufe bei einem verhassten Lehrer geschwänzt haben.

     

    Ich hingegen schon.

     

    Hätte man aber damals meine Eltern dafür verantwortlich gemacht, wie hätte ich dann je lernen können selbstverantwortlich zu handeln.

    Damals drohte man mir mit Schulverbot und da ich doch das Abitur haben wollte, zog ich die nötigen Konsequenzen.

     

    Aber Abitur war eine Perspektive. Welche Perspektive aber werden heute Hauptschülern geboten ?

     

    Nicht die Eltern sind verantwortlich sondern die Jugendlichen und die Gesellschaft, die ihnen Perspektiven aufzeigen und ausreichende Bildungsresoucen anbieten muss.

     

    Vor 4 Jahren weigerte sich mein damals 16 jähriger Sohn standhaft in die Schule zu gehen. Ich bat ihn, bestach ihn, bettelte, erpresste und zu guter letzt schüttete ich eine Schüssel Wasser in sein Bett. Bis heute schäme ich mich dafür!

    Zu genau so etwas zwingt uns dieser behördliche Schulzwang.

     

    Heute sage ich bewußt NEIN. Wenn eines meiner Kinder keine Lust auf Schule hat, OK. Ich schreibe Entschuldigungen. Aber sie müssen in dieser Zeit lernen und mir einen Arbeitsplan vorweisen. Irgendwann vergeht der Schulfrust und sie gehen wieder zur Schule auf besseren Wissensstand als zuvor.

    Mein anderer Sohn musste letztes Jahr zum Amtsarzt wegen zu vielem Fehlens, obwohl er ein sehr leistungsstarker Schüler ist, O-Ton des Direktors "sein Beispiel könnte ja Schule machen".

    Der Amtsarzt fühle sich misbraucht und meinte Bildungsverweigerer sehen anders aus und werden von der Schule und solchen Rektoren gemacht. Recht hat er !

    (Inzwischen wird unsere kleine Anachie von der Schule geduldet, aber nur weil die Leistung stimmt.)

     

    Wenn morgen jemand kommen würde und mir meine Kinder wegnehmen wollte oder sich in unseren Familienalltag einmischen würde, ich schätze er würde sich mit meinen sehr selbstbewußten und eloquenten Kindern schwer tun und schnell die Flucht ergreifen.

     

    Statt Gängelung der Eltern und Schüler sollte der Staat mehr in die Lehrerausbildung investieren damit unsere Kinder endlich von wirklichen Pädagogen unterrichtet werden.

    Bildung und Zwang passen nicht zusammen.

  • L
    LkN

    Wie kann man so unkritisch dem staatlichen Eingriff in Familien huldigen? Wie kann man so naiv daran glauben, dass ein zwangsweise verordneter Erziehungshelfer eine Biografie, einen Menschen reparieren kann? Linkem Denken käme es zu, diese Staatsgläubigkeit, dieses Setzen auf den ordnenden Eingriff von oben zu kritisieren - statt dessen stellt die taz gönnerhaft-gnädig fest, ein totaler Sorgerechtsentzug würde zu weit gehen. Leute, so was auch nur zu schreiben, ist ein Skandal, natürlich geht er zu weit, er wäre, wenn er nur aus Schulgründen erfolgte, eine Barbarei! Man muss doch sehen, dass die meisten Schulschwänzer objektiv recht haben, weil sie genau merken, dass sie aus dem Schulsystem sowieso als Verlierer ausgespuckt werden, dass der Mythos von der Förderung aller ein falscher gesellschaftlicher Schein ist, dass sie sowieso chancenlos sind und in jedem Fall fremdbestimmt werden. Schulschwänzen ist Menschenrecht, und wenn dieser sog. Bildungsstreik nicht so handzahm, sondern wirklich emanzipatorisch wäre, wenn die Schüler_innen wirklich etwas von ihrer Situation verstünden, würden sie einen Streik abhalten, der den Namen verdient - sie würden nämlich so lange nicht mehr kommen, bis sie wirklich bestimmen könnten, was in ihrer Schule passiert, am besten bis zur Abschaffung der Schulpflicht. Die taz, die solche Kommentare druckt, wird natürlich solchen Jugendlichen nur mit dem erhobenen Zeigefinger begegnen, traurig.