Kommentar Schwarz-Grün: Ziemlich viel richtig gemacht
Hinterher ist man immer schlauer. Und so mehren sich die Stimmen, dass die GAL doch schon viel früher aus Schwarz-Grün hätte aussteigen müssen, das Bündnis am besten sowieso gar nicht erst begonnen hätte. Eine genauere Analyse aber zeigt: Die Grünen haben ziemlich viel richtig gemacht.
H interher ist man immer schlauer. Und so mehren sich die Stimmen, dass die GAL doch schon viel früher aus Schwarz-Grün hätte aussteigen müssen, das Bündnis am besten sowieso gar nicht erst begonnen hätte. Eine genauere Analyse aber zeigt: Die Grünen haben ziemlich viel richtig gemacht.
Schwarz-Grün hat es gegeben, weil auf Bundesebene sowohl die CDU wie auch die GAL eine weitere Koalitionsoption brauchten, um hier nicht ewig an die FDP, dort an die SPD gekettet zu sein. Schwarz-Grün hat es gegeben, weil Hamburgs CDU in den Koalitionsverhandlungen der GAL mehr Zugeständnisse gemacht hat, als es Jahre zuvor die SPD tat, und weil mit Ole von Beust ein Bürgermeister, der Schwarz-Grün wollte, für hohe Verlässlichkeit und Vertrauen innerhalb der Koalition gesorgt hatte.
Dass die grünen Inhalte nicht praktische Politik wurden, liegt nur zum kleineren Teil am Bündnispartner CDU. Den Moorburg-Stopp hebelten die Gerichte aus, die Schulreform eine gut organisierte Volksinitiative und auch die Stadtbahn drohte zuletzt am Widerstand der Hamburger zu scheitern. Wer wie die Grünen plebiszitäre Elemente will und ernst nimmt, der kann und darf nicht die Brocken hinschmeißen, wenn das Volk einmal anders abstimmt, als die Partei es wünscht. Dass es den Grünen nicht gelungen ist, bei der Schulreform und der Stadtbahn gesellschaftliche Mehrheiten zu organisieren, müssen sie sich selber zuschreiben. Ein Grund, beleidigt eine Koalition aufzukündigen, sind diese Niederlagen keinesfalls.
Auch der Rücktritt Ole von Beusts konnte ein solcher Ausstiegs-Grund nicht sein. Das hätte bedeutet, die Funktionstüchtigkeit von Schwarz-Grün in die Hand des mächtigsten Mannes des Koalitionspartners zu legen. Die Frage, ob Schwarz-Grün auch ohne von Beust funktionieren kann, musste durch praktische Überprüfung beantwortet werden. Das geht nur, wenn man es bei aller Skepsis mit einem neuen Mann - in diesem Falle Christoph Ahlhaus - zumindest versucht. Dass Ahlhaus angekündigt hat, ohne wenn und aber für Schwarz-Grün einzustehen, machte es für die Grünen unmöglich, nach dem Rücktritt von von Beust die Brocken hinzuschmeißen. "Ahlhaus Nase passt uns nicht", ist ein verdammt klägliches Argument für einen Koalitionsausstieg, die GAL hätte sich zu Recht den Vorwurf der Fahnenflucht gefallen lassen müssen.
Die Frage, ob Schwarz-Grün unter Ahlhaus funktioniert, ist nun beantwortet. Seit seinem Amtsantritt hat es Abstimmungsprobleme zwischen CDU und GAL, Wortbrüche und Alleingänge der CDU-Mehrheit gegeben. Waghalsige Personalentscheidungen wurden von Ahlhaus durchgepeitscht, Koalitionsbeschlüsse nicht umgesetzt. So wurde die Koalition erst ein Fall für die Paartherapie, dann für den Scheidungsrichter. Kaum ein Hamburger und zuletzt auch kaum ein Grüner mochte den Chaos-Klub im Hamburger Rathaus noch ertragen. Hätten die GAL jetzt nicht gehandelt, wäre ihr zu Recht der Vorwurf zuteil geworden, nur noch an Posten zu kleben.
Es waren viele kleine Tropfen, die das Fass zum Überlaufen brachten. Der genaue Zeitpunkt für eine Aufkündigung des Bündnisses, das sich zuletzt nur noch selbst zerlegte, war in der Tat beliebig: Die Koalition hätte auch zwei Wochen früher oder zehn Tage später platzen können. Nur wenn sie sich bis zum Ende durchgeschleppt, die GAL den Absprung ganz verpasst hätte, hätten die Wähler sie 2012 wohl ausgezählt.
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