Kommentar Sarrazin und die SPD: Verrat an den Grundwerten
Die SPD verzeiht alles, solange man ein paar nichtssagende Zeilen formuliert, die an den Stammtischen ankommen. Und mehr hat Sarrazin nicht getan. Eine fatale Botschaft.
D ie Begründung, warum Thilo Sarrazin in der SPD bleiben darf, muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Sarrazin habe sozialdarwinistische und diskriminierende Äußerungen relativiert, sagt Generalsekretärin Nahles, und sich damit "wieder auf den Boden der Meinungsfreiheit" in der Partei begeben.
So ist das also: Weder ist es für einen guten Sozialdemokraten problematisch, Sozialdarwinismus und Diskriminierung zu predigen, noch schadet es, auf mehreren hundert Seiten eines Bestsellers biologistisch und rassistisch zu argumentieren. Auch die notorische Herabsetzung von Muslimen ist völlig in Ordnung.
Die SPD verzeiht alles, solange man ein paar nichtssagende Zeilen formuliert - denn mehr hat Sarrazin nicht getan -, und solange solche Thesen an den Stammtischen ankommen. So lautet die fatale Botschaft der SPD in der Sache Sarrazin.
Diese birgt ein großes Zerstörungspotenzial, denn sie widerspricht allem, wofür die SPD stehen will. Die Sozialdemokratie tritt auf dem Papier für die Stärkung der Schwachen ein, für die Teilhabe aller Gruppen an der Gesellschaft und gegen Diskriminierung. All diese Grundwerte hat Sarrazin gezielt, planvoll und zu seinem Nutzen verraten. Er verdient an diesem Verrat bestens, er ist sozusagen sein Kapital, denn er garantiert ihm Aufmerksamkeit.
Die SPD nimmt es hin. Mehr noch: Sie willigt ein, sich auch künftig von Sarrazin am Ring durch die Manege ziehen zu lassen, eines durchschaubaren Beweggrundes wegen: Führende Sozialdemokraten fürchten Verluste bei anstehenden Wahlen, etwa in der Hauptstadt. Die SPD hat also um eines taktischen Vorteils willen ihr Selbstverständnis über Bord geworfen.
Dies hat sich noch selten ausgezahlt, und gerade im weltoffenen, viele Kulturen vereinenden Berlin kommt provinzielle Verklemmtheit schlecht an. Für Migranten und liberale Bürger der Mitte hat sich die Partei unwählbar gemacht. Von Sarrazins Verbleib in der SPD profitiert nur einer: er selbst.
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